Die junge Frau schreckte aus dem Schlaf hoch, damit weckte sie auch Benjamin, dessen Arme sie eng umschlungen hielten.
Die beiden lagen auf einem weichen Wiesenstück, umgeben von schützenden Felsen.
„Was ist denn?“ fragte der Mann schlaftrunken und Sara spürte seinen sanften Blick auf sich.
„Ich… hatte gerade einen unglaublichen Traum!“ sprach sie und fühlte sich tatsächlich wie neu geboren. Viele ihrer Ängste und Zweifel waren von ihr abgefallen, wie ein altes Kleidungsstück, dass ihr nicht mehr passte. Sie war nun viel vollständiger, mutiger. Denn Tri- Chan war wieder in ihr erweckt worden! So erzählte sie Benjamin alles, was sich zugetragen hatte.
Tief bewegt lauschte der Mann ihren Worten und auch sein Herz wurde dabei von Freude und neuer Zuversicht erfüllt.
„Da wurde dir wirklich ein grosses Geschenk zuteil,“ meinte er als Sara ihre Erzählung beendet hatte. „Und… Tri- Chan sagte wirklich, dass ich einst Torak war?“
„Ja genau! Ist das nicht wundervoll!“ Sara umarmte Ben stürmisch. „Wir beide gehörten schon von Anbeginn an zusammen. Bisher fiel es mir immer schwer, das zu glauben. Doch nun… es ist wie ein Puzzle, dass immer mehr zusammengefügt wird. Dass wir uns getroffen haben, dass ich durch so unglaubliche Umstände hier in der Trollen- Welt gelandet bin, wo einst auch meine Tante war... Einfach alles! Es zeigt mir, dass der Grosse Geist, stets an meiner Seite war und mich geführt hat. Darum glaube ich auch, dass alles sich schliesslich zum Guten wenden wird. Heute bin ich bereit mich neuen Herausforderungen zu stellen! Ich werde Tri- Chan verkörpern, denn nun weiss ich, dass ich auch Tri- Chan bin!“
„Wir müssen das sogleich den anderen erzählen!“ meinte Benjamin. „Sie werden sich bestimmt sehr freuen.“
„Aber… meinst du nicht, dass sie bereits tief schlafen?“ gab Sara zu bedenken. „Es ist schon spät.“
„Ja stimmt. Dann gehen wir jetzt einfach zurück und wenn sie schlafen, dann erzählen wir ihnen einfach morgen all unsere Neuigkeiten.“
Und so geschah es!
Pia konnte einfach nicht richtig einschlafen. Ewig lange, wälzte sie sich auf ihrem Lager hin und her. Sie machte sich Sorgen um Benjamin und Sara. Wo nur waren die beiden?
Malek und der Greif beruhigten sie zwar: „Bestimmt brauchen die beiden mal etwas Zeit für sich.“
Trotz dieser Worte, konnte die Frau ihr Gedankenkarussell jedoch nicht wirklich stoppen. So bekam sie es auch sogleich mit, als Sara und ihr Bruder, auf leisen Sohlen, in die Höhle zurückkehrten.
„Benjamin!“ fragte sie. „Wo um alles in der Welt seid ihr gewesen? Ich habe mir grosse Sorgen gemacht!“
Als das frischgebackene Paar jedoch in den goldroten Schein des Feuers trat, erkannte sie, dass deren Gesichter vor Freude und Glück strahlten. Die beiden hielten sich an den Händen und warfen sich immer wieder verliebte Blicke zu.
Pia atmete erleichtert auf. Also war alles in Ordnung.
Benjamin kam nun zu ihr und führte sie etwas abseits, um Malek, der tief schlief, nicht zu wecken.
Auch der Greif schien zu schlafen, doch eigentlich befand er sich nur auf einer Art Traumreise, die seine Seele in die unterschiedlichsten Bereiche des Omniversums führte. Er unterhielt sich sogar kurz mit dem grossen Elementarfürsten des Feuers. Mit diesem stand er in ständigem Kontakt und er fragte ihn oft um Rat an. Der Elementarfürst: In seiner momentanen Erscheinung, eine strahlende Gestalt, mit einem, aus roten und blauen Flammen bestehenden Gewand und leuchtenden Flügeln, informierte ihn dann auch über den Wandel, der in Sara vonstatten gegangen war.
So wusste der Greif bereits über alles Bescheid, bevor das frischgebackene Paar in die Höhle zurückkam. Er tat jedoch so, als würde er ihre Ankunft nicht wirklich wahrnehmen und lauschte so als stiller Beobachter und mit geschlossenen Augen, den Ausführungen von Benjamin und Sara. Freude erfüllte dabei sein Herz, denn die Nichte von Magdalena spielte wirklich eine sehr wichtige Rolle in diesem Konflikt zwischen den Trollensippen. Ihr Aussehen, das mit dem von Tri Chan nahezu identisch war, würde viele Trolle zum Nachdenken bringen und sie wieder mit ihren Wurzeln verbinden. Noch wusste das gewaltige Mischwesen zwar nicht, wie der Konflikt wirklich enden würde, doch sie mussten es einfach versuchen. Auch sein Elementarfürst hatte ihn dazu ermutigt.
Auch Malek freute sich sehr, als Sara am nächsten Tag allen von ihrer Erkenntnis und ihrem Entschluss berichtete. Dass Benjamin nun ebenfalls seine grosse Liebe gefunden hatte, gönnten alle ihm ebenfalls von Herzen, denn sie mochten Sara sehr.
„Wo ist eigentlich Trion abgeblieben?“ fragte der blonde Mann schliesslich, während sie ein einfaches Frühstück zu sich nahmen.
„Ach, er ist schon vorausgegangen, um seine Leute zusammenzutrommeln,“ gab Pia zurück. „Die Pferde hat er gleich mitgenommen. Wir fliegen mit dem Greifen zurück. „Ihr wisst ja, wir wollen versuchen mit Triobald und seinen Anhängern eine friedliche Einigung zu finden.“
Kurz flackerte wieder Unsicherheit in Saras Augen auf.
Doch Benjamin drückte beschwichtigend ihre Hand. „Das wird bestimmt alles gutgehen. Wir müssen einfach Vertrauen haben. Du siehst ja, dass der göttliche Geist stets an unserer Seite steht und schliesslich haben wir ja auch noch einen Greifen als Verstärkung.“ Er nickte dem gewaltigen Mischwesen mit diesen Worten zu und dieses neigte ebenfalls zustimmend sein Haupt. „Nur keine Sorge,“ versprach der es. „Ich werde bei Bedarf sogleich zur Stelle sein. Nun wird es aber Zeit, dass ich euch ins Tal zurückbringe. Dort werden wir Sara so richtig zu Tri- Chan aufbrezeln!“ Er lachte amüsiert auf.
„Wir werden sie genauso einkleiden, wie auf Tri- Chans Gemälde!“ fügte Pia enthusiastisch hinzu. „Das wird ein Spass!“
„Eigentlich sollten wir auch Benjamin als Torak verkleiden. Immerhin war dieser eine seiner früheren Inkarnationen,“ sprach Sara.
„Was sagst du da?“ rief Pia aus, denn bisher hatten ihr Bruder und seine neue Partnerin, noch nichts von dieser Tatsache berichtet. „Du hast richtig gehört!“ meinte Benjamin grinsend. „Tatsächlich war ich einstmals Torak. So hat es Tri- Chan, in Saras Traum, jedenfalls gesagt. Auch wenn ich nicht unbedingt durchwegs stolz auf diese Tatsache bin.“
„Was meinst du damit?“ wollte Sara etwas enttäuscht wissen.
„Nun ja, ich habe damals Selbstmord begangen, obwohl ich sicher noch viel Wichtiges in der Welt hätte bewirken können.“
„Aber… schliesslich hat dein altes Ich das damals getan, weil er den Verlust über den Tod seiner Liebsten bzw. meines alten Ichs, nicht verkraften konnte. Das ist doch ziemlich romantisch… finde ich.“
„Nun ja… es ist irgendwie schon romantisch, aber zugleich habe ich mich damals auch schuldig gemacht, indem ich mein Leben auf solche Weise beendet habe.“
„Aber… wenn du das nicht getan hättest, dann wären vielleicht die Trollblumen gar nicht aus unserem Blut entstanden!“ widersprach Sara „und die verfeindeten Trolle, hätten sich nicht versöhnt. Das zeigt doch, dass es so sein musste. Würdest du heute etwa nicht mehr für mich sterben?“
„Ach du meine Güte!“ dachte Pia bei sich. „Da bahnt sich schon der erste Konflikt an. Ich hoffe nur, das geht nicht ins Auge! Benjamin muss jetzt sehr vorsichtig sein!“
Doch die Antwort ihres Bruders kam ruhig und besonnen: „Natürlich würde ich für dich sterben. Jederzeit, wenn du in Gefahr bist. Allerdings weiss ich nicht, ob ich mich auch umbringen würde, wenn du umgebracht werden würdest. Ich würde vielmehr nach deinem Mörder suchen und ihn zur Rechenschaft ziehen. Allerdings könnte ich schon wegen meiner Aufgabe als Grosser Führer, nicht einfach mein Leben wegwerfen.“
Sara wusste nicht so recht, was sie von dieser Antwort halten sollte. Etwas daran ärgerte sie. Auch wenn Bens Aussage, vom Verstand her betrachtet, absolut einleuchtend war. Und trotzdem… Sie sagte jedoch nichts weiter dazu.
Stattdessen ergriff nun der Greif, mit ernstem Tonfall, das Wort: „Benjamin hat recht, mit dem was er sagt. Jedes Leben ist wertvoll und sollte nicht leichtfertig aufgegeben werden. Auch wenn das damals, als ihr beide noch Tri- Chan und Torak wart, zu eurem Weg gehört hat. Heute ist dies jedoch anders. Es ist von grosser Wichtigkeit, dass ihr euch, trotz eurer tiefen Verbindung als Paar, nicht zu sehr voneinander abhängig macht. Jeder hat die Aufgabe, auch innerhalb einer Beziehung, in seine ganz ureigene Kraft zu finden. Nur wenn ein jeder in seiner authentischen Kraft ist, wird die Beziehung jene Erfüllung finden, die ihrer auch würdig ist. Wahre Liebe wird erst dadurch möglich. Das vergesst nie!“
Sara nickte nachdenklich. „Ja, du hast vermutlich recht,“ sprach sie leise. „Doch ich merke gerade, dass dies für mich gar nicht so einfach ist. Ich glaube… ich habe da noch einen ziemlich langen Weg zu gehen.“
„Das kann ich gut verstehen,“ meinte Benjamin und versuchte einen möglichst liebevollen Tonfall anzuschlagen. „Du darfst jedenfalls niemals an meiner Liebe zweifeln. Sie ist tiefer als das Meer und weiter als der Himmel. Das schwöre ich dir!“
Nun konnte Sara dem blonden Mann beim besten Willen nicht mehr böse sein. „Ich weiss,“ sprach sie „tut mir leid, dass ich so reagiert habe.“ Mit diesen Worten kuschelte sie sich fest in seine starken Arme.