Heiliges Feuer
Pia und Benjamin bekamen von all diesen schrecklichen Plänen nichts mit. Sie sahen auch nicht, dass das Medaillon der vier Gewalten, sobald es auf dem Boden auftraf, hell zu strahlen begann und verschwand.
Noch immer befanden sie sich in einer tiefen, jedoch sehr wohltuenden, Ohnmacht.
Als sie schliesslich wieder erwachten, erschraken sie zuerst sehr, denn sie sassen auf dem Rücken einer gewaltigen Kreatur und tief unter ihnen, zogen Wälder, Seen und grüne Hügelzüge vorbei. Sie zuckten zusammen und klammerte sich instinktiv an dem weichen Federkleid ihres Reittieres fest.
„Nur keine Angst,“ vernahmen sie eine wohlklingende, ihnen bereits bekannte Stimme. „Es kann euch nichts geschehen. Ihr seid in einen Schutzzauber eingehüllt.“
Erst jetzt begriffen die Geschwister, dass sie sich auf dem Rücken des Erdengreifs befanden, dessen goldbraunes Gefieder und Fell, im Schein der gerade aufgehenden Sonne glänzten.
„Was ist geschehen?“ fragten sie „und wo sind wir?“
„Zu eurer ersten Frage: „Ich erinnert euch sicher noch an den Weissen Ritter, der euch vor dem Herrn der Finsternis gerettet hat?“
„Ja, natürlich! Aber wie sind wir hiergekommen?“
„Der Ritter hat euch zu mir gebracht und mich darum gebeten, euch an einen bestimmten Ort zu bringen. Er meinte, es sei nun an der Zeit.“
„Aber wohin sollst du uns denn bringen?“
„Zu irgendeiner Höhle in den Bergen.“
„In welchen Bergen? Befinden sie sich im Märchenreich oder in der irdischen Welt?“
„Die Höhle soll sich auf einem der höchsten Berge, in einem kleinen, irdischen Land, im Herzen Europas, befinden. Dieses Land grenzt an Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich.“
„Redest du womöglich von der Schweiz?“ fragte Ben erstaunt.
„So ist es.“
„Aber warum ausgerechnet die Schweiz?“
„Scheinbar hat dieses Land einige besondere Voraussetzungen. Immerhin liegt es, wie gesagt, ziemlich zentral und von dort aus, gelangt man schnell an die unterschiedlichsten Orte. Ausserdem ist die Schweiz bisher vor grösseren Kriegen verschont geblieben und es liegt demzufolge ein besonderer Segen auf ihr. Was genau es damit aber auf sich hat, kann ich euch auch nicht sagen. Auf jeden Fall entsandte mich der Weisse Ritter hierher.“
Es dauerte nicht lange und die Berge, die unter ihnen vorbeizogen, wurden immer höher und höher. Wie gewaltige, schneebedeckte Riesen, erhoben sie sich in den blauen Himmel.
„Willkommen in den Schweizer- Alpen!“ meinte der Greif feierlich.
Die Geschwister blickten sich beeindruckt um. Tiefe Täler, Schluchten und steile, graue Felswände glitten nun unter und teilweise auch neben ihnen vorbei.
Ab und zu erblickten sie einen kristallklaren Bergsee oder einen glitzernden Wasserfall, die allem ein windromantisches Aussehen verliehen.
„Es ist wunderschön hier!“ schwärmte Pia und konnte sich kaum an der, für sie gänzlich neuen Umgebung, sattsehen.
Der Erdengreif flog einen weiten Bogen und steuerte dann auf einen der höchsten Berge zu. „Da unten müsste sich unser Ziel befinden,“ meinte er.
Tatsächlich tauchte, kurz darauf, eine Höhle auf, die gut versteckt zwischen einigen Steinfindlingen lag. Die Geschwister stiegen ab und betraten das Gewölbe, angeführt durch den Greif, der nun wieder auf die Grösse eines Ponys geschrumpft war.
Von der Höhle aus, zweigte ein Gang ab, dem sie nun folgten.
Alles war erfüllt von einer feierlichen, zauberhaften Atmosphäre, welche die Geschwister tief im Inneren berührte und ihre Herzen mit freudiger Erwartung erfüllte.
Nachdem sie einige Zeit durch die Dunkelheit gegangen waren, wurde es auf einmal heller und heller. Warmes, goldenes Licht, erleuchtete den Gang. Ein Licht, das Pia und Benjamin irgendwie bekannt vorkam. Erwartungsvoll bewegten sie sich vorwärts und dann… traten sie in eine weitere, grössere Höhle! Diese war richtiggehend durchflutet von den warmen Wellen des Lichts, welches die drei Freunde nun, wie ein warmer Mantel einhüllte und ihnen tiefen Frieden und Geborgenheit schenkte.
Ihre Herzen begannen immer schneller zu klopfen. Was war das?
Sie blieben einen Moment lang stehen, um die Quelle dieses magischen Scheins auszumachen und konnten es kaum glauben. In einem steinernen Becken brannte ein Feuer. Es war… „Das Feuer der ewig, göttlichen Liebe“!!
Ein Altar aus hellem Marmor, stand in der Mitte der Höhle, deren Wände mit wunderschönen Bildern und Mosaiken geschmückt waren. Diese stellten mythische Szenen aus den verschiedensten omniversischen Religionen und deren Schriften dar.
Hinter dem Becken mit dem Feuer, prangte an der Wand eine mächtige, goldene Sonne, umgeben von einer farbenprächtigen Aura. Wie im Raum der Stille, in Ululalas Schloss, standen auf dem Altar mehrere Kerzen, welche das Element Feuer versinnbildlichten. Daneben standen Gefässe mit Erde und auch Wasser darin. Ein kleines Windspiel, stellte die Luft dar.
„Ihr kennt das Elementritual?“ fragte der Greif und ging ihnen voraus, hinein in die heilige Stätte. Die Geschwister nickten tief bewegt und folgten ihm. Dabei war ihnen erneut, als würden sie durch eine Art Spinnennetz treten. Das war immer ein Zeichen dafür, dass sie die Dimensionen wechselten bzw., ein Sphärentor durchschritten.
Ehrfürchtig blieben sie einen Moment lang reglos stehen und starrten einfach nur auf das Feuer, das sie mit seinem herrlichen Schein bis tief in ihr Innerstes berührte.
Es war wie damals, als sie dieses zum ersten Mal gesehen hatten. Ungläubig blickten sie den Greifen an und sprachen: „Wir befürchteten eine Weile, dass das Feuer für immer verschwunden sei, dabei ist es nur hierhergebracht worden.“
„So ist es. Es war nie wirklich verschwunden, aber es wurde für eine Weile verborgen gehalten. Nun jedoch ist der Zeitpunkt gekommen, es wieder sichtbar zu machen und das ganze Omniversum neu zu erhellen.“
„Was genau meinst du damit?“
„Das werdet ihr zu gegebener Zeit erfahren.“
„Aber… warum wurden wir hergebracht?“
„Weil das Göttliche euch ein besonderes Geschenk machen will. Ihr habt während eures Kampfes gegen Obislav und auch den Herrn der Finsternis erneut euer Vertrauen und eure Treue zum Licht bewiesen und nun steht ihr vor einem weiteren, noch viel grösseren Kampf, für den ihr einige besondere Kräfte braucht. Das Feuer der ewig göttlichen Liebe wird euch dabei stärken und euer tiefstes Potenzial hervorlocken.“
Pia nickte mit strahlenden Augen und wollte sogleich auf das heilige Feuer zulaufen.
Doch der Greif hielt sie zurück: „Warte! Zuerst das Element- Ritual! Es soll euch reinigen und euch für die Segnungen, die euch schon bald zuteilwerden, vorbereiten.“
Die Geschwister gehorchten, sie zogen ihre Schuhe aus und traten zuerst zu den Kerzen. Dort zündeten sie jeweils eine davon an. Dann nahmen sie etwas Erde aus dem Erdgefäss und bestäubten damit ihre Häupter. Nachdem wuschen sie ihre Gesichter und Hände in dem Gefäss mit dem Wasser und das Windspiel brachten sie, auf Anweisung des Greifs, mit vorsichtigem Blasen zum Klingen. Dabei sprachen sie stets: „Macht des Feuers, Macht der Erde, Macht des Wassers und Macht der Luft..., erfülle uns ganz! Eins mit der Schöpfung buntem Tanz!“
Das Windspiel mit seinen silbernen Glöckchen, bimmelte sanft und der Greif meinte: „Dies ist ein ganz besondere Windspiel. Blast noch mehr, dann erst wird es seine ganze magische Kraft entfalten!“
Auch er half nun mit beim Blasen mit und das anfangs noch leise Bimmeln der Glöckchen, wurde dadurch immer lauter, steigerte sich mehr und mehr, bis schliesslich die ganze Höhle von ihrem Klang erfüllt war.
Die Geschwister blickten sich erstaunt und etwas eingeschüchtert um.
Der Greif meinte jedoch feierlich: „Alles im Omniversum ist Schwingung und Klang. Ihr könnt diese Gesetzmässigkeit für euch nutzen lernen. Schaut, das Feuer reagiert bereits darauf!“
Während sich der Klang der Glöckchen immer mehr steigerte, geriet das Feuer der ewig göttlichen Liebe jetzt tatsächlich immer mehr in Bewegung. Es begann zu flackern und seine Flammen begannen sich nach allen Seiten auszudehnen. Sie bildete dabei leuchtende, glitzernde Schwaden, welche sich nun auf Pia und Benjamin zubewegten, sie ganz und gar umhüllten und erfüllten. Die beiden spürten eine gewaltige Energie und Kraft in sich, die noch um vieles stärker war, als bei ihrer ersten Begegnung mit dem Heiligen Feuer. Denn diesmal waren sie von ihm auserwählt worden!