Noch einmal erbebte der Saal, Steine und Putz fielen dabei von der Decke. Der Fahlgewandete blickte sich unsicher um. „Was bei allen Höllen ist das!“ rief er, und Zyklopus glaubte Furcht in seiner Stimme zu vernehmen. Er nutzte die Abgelenktheit des Fahlgewandeten und flüchtete aus dem mächtigen Thronsaal. Der vermeintliche Xandrax achtete zum Glück nicht mehr auf ihn. Auf einmal kam dem Riesen der Xandrax Priester entgegen. „Was ist da los?!“ krächzte er.
„Meister, grosser Meister, kannst du es mir sagen?“ Mit einem Seitenblick sah Zyklopus, wie Der Fahlgewandete seinen Priester keines Blickes würdigte, sich einfach auflöste und verschwand.
„Meister!“ schrie der Priester erneut und wirkte richtig panisch. „Bitte verlass uns nicht!“ Er wollte zurück in den Saal laufen, während immer mehr Steine von der Decke fielen und sich tiefe Risse in den Wänden auftaten. Schnell packte er den Prediger am Arm und riss ihn zurück. „Das würde ich nicht tun! Wir müssen raus hier! Der Tempel bricht bald zusammen, na los!“
„Nein!“ zeterte der Priester und in seinem Blick lag so eine tiefe Verzweiflung, das Zyklopus ihn beinahe bedauerte. „Ich muss zu meinem Meister. Er wird bestimmt mir beistehen.“
„Kapierst du es denn noch immer nicht!“ brüllte ihn Zyklopus an.
„Dein sogenannter Meister wird keinen Finger rühren, um dir beizustehen. Ihr seid ihm doch alle egal. Er schert sich um nichts und niemanden!“
„Das ist nicht wahr!“ Der Prediger zappelte und wollte sich losreissen.
„Sei doch vernünftig!“ Dein Meister hat dich verlassen. Er hat dich verstossen. Irgendwann wirst du einsehen müssen, dass du einem falschen Gott gedient hast!“
„Nein, nein!“ wiederholte der Priester immer wieder „das kann nicht sein!“
„Es ist aber nun mal so! Nun komm! Oder willst du unter den Trümmern deines eigenen Tempels begraben werden?“
Xandrax Getreuer zögerte noch immer. „Ach, mach doch was du willst!“ rief Zyklopus resigniert. „Ich für meinen Teil, verschwinde von hier!“ Er wandte sich zum Gehen und… tatsächlich der Priester folgte ihm nun doch.
Kampf der Giganten
Pia, Benjamin und Malek waren tatsächlich mit den Greif zurückgekehrt und das buchstäblich in letzter Sekunde. Das Mischwesen setzte die drei Freunde jedoch auf einem naheliegenden Felsen ab und meinte: „Das Ganze wird jetzt etwas ungemütlich. Hier seid ihr sicher!“ Danach flog er mit mächtigen Flügelschlägen wieder davon und auf den dunklen Tempel zu.
Donner, Blitze und Regen, begleiteten ihn nun. Die schwarzen Wolken, die das Gebäude einhüllten, wurden von starken Windböen auseinandergetrieben und davongeweht. Die Sicht wurde nun zusehends klarer.
Mit grossen Augen beobachtete die Zuschauer, was weiter geschah. Der Greif war wirklich unglaublich machtvoll! Er verstand es, alle vier Elemente zu beherrschen, doch besonders die Erde und Felsen waren seine Spezialität. Immer wieder brachte er den Boden zum Erzittern, Felsbrocken und Hagelkörner fielen auf den Tempel hernieder. Blitze schlugen in dessen Wände ein, riessen tiefe Löcher ins Gestein. Erdbeben um Erdbeben erschütterten seine Grundfesten und das hohe Kreischen des Greifs, das er immer wieder ausstiess, liess alle Fenster in tausend Stücke zerbersten! „Unglaublich, welch gewaltiges, magisches Potenzial dieses Wesen hat!“ sprach Malek tief beeindruckt. So einen Greifen will man wirklich nichts zum Feind haben. Dagegen bin ich mit meiner Magie der reinste Waisenknabe!“ „Ja,“ meinte Ben ebenfalls tief beeindruckt. „Ich glaube er könnte es problemlos mit den Rittern aufnehmen. Sollte dieser fahlgewandete Schweinehund genug Mut haben, um gegen den Greif zu kämpfen, dann wird das ein Spektakel unglaublichen Ausmasses sein.“
„Ich machte mir gerade vor allem Sorgen um Zyklopus,“ sprach Pia ernst. „Wenn… ihn dieser vermeintliche Xandrax nur nicht getötet hat!“ „Daran dürfen wir jetzt auf keinen Fall denken Schwesterlein!“ rief Benjamin. „Zyklopus geht es bestimmt gut!“
„Meinst du?“
„Aber klar! Er ist ein harter Brocken.“
Zyklopus und der Xandrax Priester hatten sich währenddessen ihren Weg zurück in den Tempel gebahnt. Dieser erzitterte immer von neuem unter den Angriffen des mächtigen Greifs. Steinbrocken und Balken fielen herunter, der Boden war durchzogen mit Rissen und das Glas der Fenster, lag überall herum. Nur mit Mühe und Not, konnten die beiden Riesen den herabfallenden Trümmern ausweichen.
Als sie den Ausgang beinahe erreicht hatten, erklang auf einmal ein ohrenbetäubendes Knirschen hinter ihnen. Sie fuhren herum und sahen mit Entsetzen, wie sich die riesige Götzenstatue des Xandrax ganz plötzlich bewegte! Ihre unheimlichen, rötlichen Augen waren auf einmal ganz klar mit Leben erfüllt. Gerade riss sie sich von ihrem Sockel los und unter lautem Brüllen setze sie sich daraufhin in Bewegung.
„Gepriesen sei Xandrax!“ rief der Priester mit einem verzückten Funkeln in den Augen. „Er eilt uns zur Hilfe.“
„Das glaubst auch nur du!“ erwiderte Zyklopus kühl. Doch der Priester lief seinem mutmasslichen Gott begeistert entgegen und warf sich vor ihm auf die Knie. „Grosser Herr! Bitte beschütze uns vor diesen Mächten, die deinen heiligen Tempel zerstören wollen!“ Doch die Götterstatue schenkte seinem treuesten Diener, keinerlei Beachtung. Sie hob ihren Fuss und wollte einfach über den Priester hinwegtrampeln.
Zyklopus warf sich jedoch nach vorn und stiess den anderen Riesen aus der Gefahrenzone. Der Priester blieb kreidebleich liegen und schaute zu seinem sogenannten Meister empor, der unbarmherzig weiter ging, ohne auf irgendjemanden zu achten.
Wieder fielen einige mächtige Steinquader von der Decke herab und es wurde höchste Zeit, dass sie hier verschwanden. „Na los, weiter!“ rief Zyklopus „wir müssen hier endlich raus! Vergiss deinen Meister. Er schert sich um nichts und niemanden!“ Tatsächlich achtete die Statue, welche nun ganz vom dunklen Geist des fahlen Ritters beseelt war, auch nicht auf die anderen Riesen, welche noch draussen vor dem Tempel versammelt waren. Diese liefen schreiend und voller Panik umher. Doch als sie die mächtige Statue ihres Gottes erblickten, fielen sie ebenfalls auf die Knie und flehten zu ihrem Idol um Hilfe. Die gewaltige Statue ging auch über sie hinweg, ohne darauf zu achten, wer unter ihren schweren Füssen den Tod fand. Zyklopus schaute zu dem Priester herüber, der das grausamen Schauspiel mit entsetzter Miene verfolgte und sprach: „Erkennst du nun endlich das wahre Wesen deines sogenannten Meisters? Ihr bedeutet ihm nicht. Du solltest ihm wirklich endlich entsagen und dich dem wahren Göttlichen zuwenden, welches voller Güte und Barmherzigkeit ist!“ Mit diesen Worten lief er davon und rief den noch anwesenden Riesen zu: „Haut endlich ab hier! Xandrax wird euch nicht helfen. Bringt euch lieber in Sicherheit!“ Die meisten der anderen Riesen gehorchten, mit bleichen Gesichtern und brachten sich in Sicherheit; während der Kampf zwischen dem gewaltigen, geflügelten Wesen, das über ihnen am Himmel kreiste, und ihrem unbarmherzigen Gott, jetzt erst so richtig entbrannte...