Sara seufzte, wenn sie an die sehnsuchtsvollen Worte vom Magdalena dachte und auch in ihr wurde eine seltsame Sehnsucht wach. Sie musste auf einmal wieder an Benjamin denken und ihr Herz klopfte sogleich einige Takte schneller. Wie schon so viele Male zuvor, sah sie ihn in Gedanken vor sich, strahlend wie ein Prinz aus einem vergessenen Traum. Sein wundervolles Lächeln, seine blauen Augen, das gelockte, halblange, goldene Haar…, alles an ihm, hatte die junge Frau vom ersten Moment an verzaubert. Benjamin hatte etwas ganz Besonderes an sich. Er war herzlich und aufgeschlossen auf der einen Seite, auf der anderen Seite jedoch, war da immer noch eine gewisse Scheu, etwas Nachdenkliches und Ernsthaftes an ihm. All diese Wesenszüge, machten ihn erst so richtig aus. Darum mochte sie ihn wohl auch so sehr. Benjamin war einer dieser Männer, denen man bedingungslos vertraute, von denen man sich am liebsten auf ein Pferd heben lassen wollte, um mit ihnen überallhin zu reiten, ohne dabei irgendwelche Fragen zu stellen…
Auf einmal wurde das Mädchen traurig. Was für dumme Gedanken waren das bloss! Sie würden sowieso immer nur Träume bleiben. Benjamin hatte eine so viel bedeutendere Aufgabe, als für sie den Märchenprinzen zu spielen. Auch das Trollen- Reich würde sie niemals sehen, denn sie beherrschte die Sphärenwanderung nun mal nicht, anders als Benjamin, Pia und Lord Malek. Am besten, vergass sie das alles schnell wieder! So wandte sie sich seufzend um und machte sich wieder an die Arbeit.
Am Abend musste Sara noch etwas in der Küche aushelfen. Sie war gerade daran einen Berg Karotten zu schälen, als eine ihrer Kolleginnen nach ihr rief: „Da will dich jemand besuchen!“
Das Mädchen blickte erstaunt von ihrer Arbeit auf und sogleich setzte ihr Herz einige Schläge aus. Vor ihr stand tatsächlich Benjamin und grinste ihr breit entgegen! Nervös putzte Sara ihre Hände an der fleckigen Küchenschürze ab und strich sich einige Strähnen, ihres langen, dunklen Haares aus dem Gesicht. „Hej…, hallo!“ stotterte sie. „Du bist also wieder zurück?“
„Nur für kurze Zeit,“ erwiderte der blonde Mann. Sara versuchte ihre Enttäuschung, darüber, dass er schon so bald wieder fortmusste, zu verbergen, aber es gelang ihr nicht so wirklich.
Benjamin musterte sie eingehend. Sara war wirklich ein sehr schönes Mädchen, egal ob sie mit fleckiger Schürze in der Küche arbeitete oder in ihrer eleganter Service- Tracht, Tee servierte. Ihre saphirblauen Augen mit den langen Wimpern leuchteten und ihre Wangen waren leicht gerötet. Sie hatte eine sehr schöne Figur und Ben war auch von ihrem Wesen, von Anfang an, fasziniert gewesen. Auf einmal wurde dem Mann mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, dass ihn bisher noch kein Mädchen so berührt hatte, wie Sara es tat und er senkte etwas verlegen den Blick. Da war sie wieder, seine scheue Seite!
Allerdings fasste er sich sogleich wieder und fragte: „Hättest du vielleicht Zeit für einen kleinen Spaziergang?“ Die junge Frau blickte fragend zum Küchenchef herüber. Es handelte sich dabei um Humbold den königliche Koch, der einstmals in ein Schwein verzaubert und ins Reich der Zwerge verbannt worden war. Der blonde Mann erinnerte sich noch sehr genau daran.
Benjamin erklärte Humbold, warum sie hergekommen waren und dass sie durch den Trank, den sie bei sich hatten, dem Koch seine einstmalige Gestalt wieder zurückgeben konnten. Anfangs war Humbold noch etwas misstrauisch, doch dann siegte doch die Sehnsucht, diesen ungeliebten Schweinekörper, endlich wieder verlassen zu können.
„Nun gut!“ sprach er „schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden, dann gebt mir das Gesöff einfach mal!“
„Du wirst es nicht bereuen!“ versicherte ihm Pia und flösste dem Schwein den Trank vorsichtig ein. Sogleich begann die Verwandlung des Koches.
Als er jedoch wieder in seiner ursprünglichen Gestalt vor ihnen stand, kam es den Jugendlichen irgendwie vor, als habe er sich gar nicht so sehr verändert. Humbold sah, auch als Mensch, noch immer etwas wie ein Schweinchen aus. Er war ausgesprochen rundlich gebaut und hatte ein gut durchblutetes Vollmondgesicht. Er war nicht sehr gross, trug eine nicht mehr ganz weisse Schürze und besass rötliches, schütteres Haar. Seine kleinen hellblauen Augen blickten freundlich. Er konnte kaum fassen, was mit ihm geschehen war und musterte sich wie alle Verbannten, die ihre alte Gestalt zurückerhalten hatten, zuerst von oben bis unten. Sein Glück war grenzenlos. „Bei allen heiligen Kochtöpfen!“ rief er „endlich hat dieses elende Schweinedasein ein Ende!“
Humbold kannte Benjamin und Pia sehr gut und verehrte sie, wie alle anderen einstmals Verbannten, aus tiefstem Herzen. Waren die beiden es ja schliesslich gewesen, welche ihm und dem restlichen Hofstaat, damals die Heimkehr ins Juwelenreich ermöglicht hatten.
„Ich kann sonst auch Malek bitten, einen kurzen Zauber zu wirken,“ fügte Benjamin noch hinzu, „damit die Karotten doch noch rechtzeitig fertig werden.“
Humbold lächelte jedoch verständnisvoll. „Nein, nein! Ist schon gut. Wir sollten es auch ohne Sara oder irgendeinen Zauber schaffen. Geht ihr beiden nur!“
Die Magd stammelte ein Dankeschön und zog dann in Windeseile ihre Schürze aus. Darunter trug sie ein einfaches, grünes Gewand.
„Wollen wir ein wenig in den Schlosspark?“ fragte Benjamin.
„Ja…äh… sehr gerne,“ stotterte Sara.
„Ich… kenne dort einen schönen Platz und wir könnten uns da ein wenig unterhalten.“
Sara zögerte auf einmal und ihre Augen nahmen einen etwas misstrauischen Ausdruck an.
Dem blonden Mann entging das nicht und er rief schnell: „Nur… keine Angst! Ich habe nichts Unschickliches vor, ich…“ Er lief nun ebenfalls rot an und stammelte. „Ich will dich wirklich nur etwas besser kennenlernen. Ich hoffe… das ist in Ordnung für dich?“ Er wirkte nun so durcheinander, dass Sara sich beinahe wieder über ihr abweisendes Verhalten schämte. „Ist… schon gut,“ erwiderte sie. „Ich… würde dich wirklich auch gerne etwas besser kennenlernen.“
„Dann… bin ich froh. Äh,… wollen wir also los?“ Er machte eine einladende Geste Richtung Ausgang. Durch eine Hintertür, verliessen die beiden nun das, in der Abendsonne funkelnde Schloss und Benjamin führte das Mädchen herüber zum Schlossgarten. Dieser bestand aus wunderschönen, bunten Blumenbeeten, kunstvoll geschnittenen Büschen, stattlichen Bäumen, weissen Kieswegen und verschiedenen, mit Statuen verzierten Brunnen und Teichen.
Sara war nur selten hier gewesen, obwohl der Garten eigentlich dem ganzen Hofstaat offenstand.
Benjamin und Sara gingen eine Weile schweigend nebeneinander her und nahmen die Schönheit des Gartens, ganz in sich auf.
Schliesslich brach die junge Frau das Schweigen: „Es ist wirklich wunderschön hier. Ich komme nur selten in den Garten.“
„Wirklich?“ fragte Ben erstaunt. „Aber warum?“
„Ach… irgendwie fühle ich mich unter all diesen vornehmen Leuten, die hier sonst flanieren, nicht sehr wohl. Ich passe nicht zu ihnen.“
„Ach was!“ lachte Benjamin nun „das spielt doch gar keine Rolle! Der Garten gehört allen und alle sollten ihn frei nutzen!“
„Ja ich weiss… aber trotzdem…“
„Du machst dir das Leben viel zu schwer! Du solltest es viel mehr geniessen und dich selbst etwas mehr wertschätzen!“
„Das tu ich ja auch. Dennoch kenne ich meinen Platz.“
„Dein Platz, oder der Platz der anderen…, was bedeutet das schon! Wir sind alle gleich, vor den Augen des grossen Geistes.“
„Vor seinen Augen schon. Aber du weisst, dass die Welt oft anders aussieht.“ „Nur, wenn du dich selbst kleiner machst, als du bist. Das solltest du nicht tun!“ Sara senkte nachdenklich, und sichtlich bewegt, den Kopf und dachte über Bens Worte nach. Eigentlich hatte er ja recht. Vermutlich machte sie sich das Leben wirklich oft zu schwer und fühlte sich tief in ihrem Inneren, noch immer minderwertiger, als gewisse andere Leute. Und ja… auch als Ben, der ja einer der Grossen Führer war. Darum konnte sie fast nicht glauben, dass er wirklich ernsthaftes Interesse an ihr hegte.
Aber… warum hatte er sie dann überhaupt zu einem Spaziergang eingeladen? Er hätte sicher noch anderes zu tun gehabt.
Sie hob ihren Kopf wieder und musterte den blonden Mann eingehend. In seinem Blick und seinen Gesten, lag tiefster Respekt für sie und sie fühlte sich auch sehr wohl in seiner Gegenwart.
„Da vorne, hinter jenem Baumhain verborgen, befindet sich ein besonders malerischer, kleiner Teich,“ sprach er nun. „Dort steht eine weisse Bank unter einem wundervollen, zurzeit gerade blühenden Zierkirschen- Baum. Seine Zweige hängen besonders tief herab und bilden einen Art Baldachin, wenn man darunter sitzt. Dort gibt es einige Enten und ein Schwanenpaar, dass ich, wenn ich im Juwelen- Schloss bin, jeweils füttere. Die beiden sind bereits richtig zutraulich. Schau nur, sie kommen schon heran-geschwommen!“ Er nahm etwas Brot aus seiner Tasche und reichte auch Sara ein Stück. Die weissen Wasservögel waren wirklich wunderschön anzusehen. Ihr makelloses, weisses Gefieder, fing den abendlichen Schein der Sonne ein und schimmerte in einem sanften roségoldenen Schimmer.
Ihre Schnäbel waren orangerot und ihre Schnabelspitzen und -wurzeln glänzendschwarz. Ausserdem besassen sie einen schwarzen Schnabelhöcker.
Anmutig und mit lautem Begrüssungsgeschnatter, schwammen sie näher und blickten erwartungsvoll zu Benjamin empor.