Wie du siehst, trägt sie eine der gelben Trollblumen in der Hand und in der anderen Hand ein Messer. Wir vermuten, dass dieses Messer jenes ist, mit dem sie einst umgebracht wurde und mit dem sich dann ihr Liebster Torak ebenfalls das Leben nahm. Hast du von der Legende über die Trollblumen schon mal etwas gehört?“
„Ja, meine Tante Magdalena, welche einst von einem Magier ins Trollenreich verbannt wurde, hat mir mal davon erzählt, genau erinnere ich mich aber nicht mehr.
„Magdalena!“ rief Trion überrascht aus. „Ich kenne sie! Wir haben sie einst eine Weile im Dorf des Halbmondes, also hier, beherbergt bis sie, dank der Grossen Führer, wieder ins Land der hundert Juwelen zurückkehren konnte.“
Sara riss ihre Augen ungläubig auf. „Dann war also meine Tante tatsächlich hier an diesem Ort? Das kann ja kein Zufall sein!“
„Ja, das ist wirklich sehr mysteriös. Ich glaube, wir sollten deshalb bald die Hohepriesterin Triandra aufsuchen, vielleicht weiss sie etwas mehr darüber.“
„Triandra! Ja genau! Von ihr hat Magdalena immer ganz besonders geschwärmt.“
Trion setzte sich mit bekümmerter Mine auf einen Baumstamm, den die Trolle in der Nähe des warmen Feuers als Bank nutzten und sprach: „Ja, damals war alles noch ganz anders. Wir lebten zu jener Zeit noch in Frieden und mussten uns nur ab und zu gegen einige fehlgeleiteten Artgenossen zur Wehr setzen. Nun jedoch herrschen kriegsähnliche Zustände in unserer Welt. Darum wurde unser Dorf auch zerstört und unsere Priester und Priesterinnen mussten untertauchen, weil Triobald, den Anführer jener berittenen Horden, gegen die wir vorhin kämpften, alle spirituellen und religiösen Vertreter unsere Rasse, angefangen hat zu verfolgen.
Es ist wieder ganz ähnlich wie damals, als Tri- Chan und ihr Liebster gelebt haben. In jener Zeit, lagen die verschiedenen, trollischen Sippen ebenfalls miteinander in einem schrecklichen Krieg.
Das junge Paar hätte eigentlich nicht zusammen sein dürfen, da sie zwei stark verfeindeten Sippen angehörten. Als die Sippe von Torak erfuhr, dass dieser mit einem Mädchen zusammen war, das zu ihren Erzfeinden gehörte, ermordeten sie dieses mit einem Messer.
Torak der sie fand, war so vom Schmerz überwältigt, dass er das Messer aus Tri- Chans Leib herauszog und sich darauf selbst ins Herz rammte. Aus dem Blut der beiden Liebenden, sprossen schliesslich die ersten Trollblumen. Man erzählt sich, dass die beiden verfeindeten Sippen so über den Tod von Tri- Chan und Torak erschüttert gewesen seien, dass sie endlich das Kriegsbeil begruben.
Meine und Triandras Sippe, nahm und nimmt diese Geschichte sehr ernst und darum spielt Tri- Chan für uns auch eine so wichtige Rolle. Denn sie gilt, wegen ihres Opfers, als die Hüterin des Friedens. Sie riskierte damals alles für ihre grosse Liebe Torak und brachte so die starrköpfigen Trolle dazu umzudenken.“
Sara, die sich nun neben Trion gesetzt hatte, nickte bewegt und schaute erneut zu dem Ölgemälde herüber, welches Tri- Chan zeigte. Diese war ihr wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Es war kaum zu glauben. Nur eines wunderte sie. „Warum hat Tri- Chan eigentlich keine rote Knollen- Nase, wie alle anderen ihrer Art?“
Trion erwiderte: „Es heisst, dass zu jener Zeit, mein Volk noch anders aussah, ganz ähnlich wie euresgleichen, wenn auch ein wenig kleiner und gedrungener.
Im Laufe der Jahrhunderte jedoch, wurde die rote Nase zu unserer Eigenart. Wie genau es dazu kam, weiss ich allerdings nicht. Vielleicht weiss ja Triandra mehr darüber. Sie ist aller alten Schriften kundig.“
Als er das sagte, klang seine Stimme beinahe schwärmerisch, was Sara kurz stutzig machte.
Doch dann fragte sie: „Gibt es eigentlich auch ein Bild von Torak, dem Liebsten Tri- Chans?“
„Nein, nicht das ich wüsste. Vielleicht bei einer anderen Sippe. Aber hier haben wir nur das unserer Vorfahrin Tri- Chan gefunden. Allerdings erzählt man sich, dass Torak ein sehr schöner Mann, mit goldblonden Haaren und blauen Augen, gewesen sei.“
Sara musste auf einmal wieder an Benjamin denken und tiefe Zärtlichkeit für ihn, ergriff sie erneut. Irgendwo hier in dieser Welt mussten er und seine Begleiter sein. Vielleicht gar nicht weit von ihr entfernt. Ihr Herz klopfte auf einmal etwas schneller und sie dachte bei sich: „Sobald Silberstern wieder da ist, werde ich mich auf die Suche nach ihnen machen.“
Als ob Trion ihre Gedanken gelesen hätte meinte er: „Ich hoffe wir finden dein Pferd bald. Dann werden du und ich mal zu unserer Hohepriesterin Triandra reisen. Du musst sie unbedingt kennenlernen.“
„Eigentlich gar keine schlechte Idee,“ erwiderte Sara, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Vielleicht sind Pia, Benjamin und Malek ja sogar bei ihr untergekommen.“
„Pia und Benjamin?“ fragte Trion ungläubig. „Aber… das sind ja die Grossen Führer!“
„Das ist richtig. Sie sind ebenfalls hier im Trollenreich. Sie suchen, an diesem Ort, nach einigen Antworten.“
„Tatsächlich? Du kennst sie persönlich?“
„Klar, ich bin ja schliesslich Magdalenas Nichte und seit Pia und Benjamin wieder ins Reich der Sagen, Märchen und Legenden zurückgekehrt sind, gehen sie regelmässig im Juwelenschloss, in dem ich arbeite und lebe, ein und aus.“
„Das ist ja nicht zu fassen!“ Trion wirkte sehr aufgeregt. „Sie sind also tatsächlich zurückgekehrt! Welch wundervolle Neuigkeiten! Da bekommt dein Hiersein ja nochmals eine ganz neue Bedeutung. Irgendetwas muss es damit auf sich haben.“
„Ja…“ meinte Sara nachdenklich: „Wer weiss, wer weiss...“