Waldelfen hatten sehr gute Ohren und deshalb hielten die beiden sofort inne, um den Ursprung des Geräusches auszumachen. Es musste von dem umgestürzten Baumstamm kommen, auf dem sie gesessen waren. Sie tasteten diesen ab und untersuchten ihn genau. Auf einmal entdeckte Tartaloz ein Astloch. Es war kaum zu sehen, da es sich beinahe auf der Unterseite des Stammes befand. Der junge Elf griff hinein und fühlte etwas Hartes, Kühles. Er umfasste es mit der Hand und zog es heraus. Seine Augen weiteten sich, als er ein wundervolles Collier aus hellblauen Diamanten und Saphiren hervorholte. Einer der Diamanten war besonders gross, mit einem Durchmesser von ca. 5 Centimetern. Makraloz blickte entgeistert auf den herrlichen Schmuck. „Das ist ja… die Kette von der Nymphe Miowa! Also hier war es die ganze Zeit versteckt! Wenn wir das gewusst hätten! Komm! Wir müssen sofort ins Dorf zurück!“
Alle gerieten in helle Aufregung als sie vom plötzlichen Wiederauftauchen des Nymphenschmucks erfuhren. War dieser Schmuck doch der Grund gewesen, weshalb die Hüterin des örtlichen Teiches, dem Waldvolk damals den Krieg erklärt hatte. Vor langer Zeit hatte, laut Miowa, einer der Elfen ihr wertvolles Collier gestohlen und es war niemals wieder aufgetaucht. Bei ihrem ersten Besuch hier, hatten Pia und Benjamin dann die Idee gehabt, eine neue Kette mit dazugehörigem Armband für die Nymphe anzufertigen. Hungoloz‘ Stamm hatte damals all seine Reichtümer zusammengelegt, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Mit Erfolg! Darauf vergab ihnen Miowa und sie lebten seither in Frieden mit ihr. Wieder holten sie die Erinnerung an diese Ereignisse ein:
Benjamin sprach zu der Nymphe: „Dieses Collier und dieses Armband sollen dich für deinen Verlust entschädigen. Beides zusammen ist mehr wert, als dein altes Collier." „Auch wenn nichts mein altes Collier jemals zu ersetzen vermag,“ meinte die Nymphe „so zeigt es doch den guten Willen des Waldvolkes. Sie haben sich tatsächlich viel Mühe mit diesem Schmuck gegeben. „Vielleicht war ich ja doch etwas festgefahren." „Schön, dass du das einsiehst," meinte Benjamin. „Wirst du uns nun etwas entgegenkommen?" „In Ordnung,“ sprach die Nymphe.
„Schon unglaublich, wie angestrengt haben wir damals nach der Kette von Miowa gesucht!“ rief Pia „und dabei war sie so nahe. Ein unglaublich glücklicher Zufall, dass Makraloz und Tartaloz sie wiedergefunden haben!“ „Und ein gutes Omen!“ freute sich Hungoloz.
„Das ist wahr,“ stimmte Makraloz zu, „wenn man bedenkt, wie viel Ärger wir deswegen mit der Wächterin des Teiches hatten. Wochenlang hat Miowa mich und einige andere, deswegen in ihrer Unterwasserhöhle gefangen gehalten. Wenn ich nur damals schon gewusst hätte, wo diese vermaledeite Kette ist! Wir müssen den Schmuck unbedingt sogleich zu der Nymphe zurückbringen.“
„Ja und das werden wir auch tun,“ stimmte Hungoloz zu. „Ich übernehme das, immerhin bin ich ja der neue König des Waldes. Wenn wir Glück haben, bekommen alle die damals geholfen haben, die Materialien für den Ersatzschmuck aufzutreiben, ihre Reichtümer wieder zurück und die Nymphe hat ihr geliebtes Collier wieder.“
Jubel erhob sich und Hungoloz rief. „Dann mache ich mich also mal auf den Weg zum Teich!“ Er wandte sich an die Turner Geschwister und Malek und fragte: „Wollt ihr mich begleiten?“
„Natürlich!“ riefen Pia und Benjamin. „So sehen wir Miowa auch einmal wieder.
„Dann los! Es dunkelt schon wieder ein. Wir sollten uns beeilen!“
Rückkehr zum Teich der Nymphe Miowa
Eine tragische Liebesgeschichte
Die Sonne stand bereits tief am Horizont und sandte ihre sanften, orangen Strahlen über den Himmel. Tatsächlich war die Luft wieder viel klarer und sogar einige Vögel zwitscherten wieder. Die Feuerblumenmedizin entfaltete immer mehr ihre Wirkung und ein Baum nach dem anderen, trieb wieder neue Blätter aus.
„Bald wird der Wald wieder wie früher sein,“ sprach Pia voller Freude, als sie durch die kühlen Schatten des frischen, frühlingshaften Grüns wanderten. Hungoloz atmete tief durch und sog die klare, abendliche Luft, tief in seine Lungen. „Ja, du hast recht und das haben wir alles euch zu verdanken.“
„Ich bin so froh, dass die Medizin auch bei den Bäumen wirkt, das habe ich kaum zu glauben gewagt,“ erwiderte die Frau.
„Die Atmosphäre ist auch viel besser,“ mischte sich Ben ins Gespräch. „Man fühlt sich wieder viel geborgener und neu erhoben, seit die Verderbnis des schwarzen Ritters verschwunden ist.“
„Man muss sich jetzt auch nicht mehr so sehr fürchten, wenn man die Sicherheit des Dorfes verlässt,“ freute sich der König des Waldes. „Der neue Frieden, scheint alle Herzen zu berühren.“
Schliesslich, als die Sonne schon beinahe untergegangen war, erreichten sie die Umgebung des zauberhaften Teiches. Hier war alles noch, wie damals als Pia und Benjamin das erste Mal im Märchenreich gewesen waren. Es gab keine abgestorbenen Bäume und das Gras und der Schilf, die den glitzernden Teich umsäumten, waren grün und saftig.
Benjamin nahm den kleinen Blumenstrauss, den er unterwegs gepflückt hatte und legte ihn vorsichtig auf die Wasseroberfläche. Eine der flachen Wellen, die sonst über das Ufer schwappten, änderte auf einmal ihre Richtung und trug den Blumenstrauss zur Mitte des Gewässers. Schliesslich entstanden kleine Wasserwirbel um den Blumenstrauss herum und dann tauchte die Nymphe Miowa, lautlos aus dem Wasser auf! Sie war unbeschreiblich schön, mit blondem langem Haar, das über ihre wohlgeformten Brüste fiel und tiefblauen, leuchtenden Augen. Sie nahm den Strauss in ihre feingliedrigen Hände und roch entzückt daran, dann wandte sich den vier Besuchern zu.
„Sei gegrüsst, oh Blume der Wasser!“ rief Benjamin zu ihr herüber. „Es freut uns, dich wiederzusehen.“
Die Nymphe runzelte leicht die Stirn, als überlege sie, woher sie die Geschwister kannte, doch dann auf einmal leuchteten ihre Augen freudig auf. „Ihr seid doch diese Menschenkinder, die schon vor einiger Zeit mal hier waren. Ihr seid mittlerweile nur erwachsen geworden.“
Vertrauensvoll schwamm sie näher an das Ufer heran und neigte ihr Haupt zum Gruss. Das Wasser tropfte ihr dabei von ihrem blonden Haar herab und die Tropfen liessen ihren alabasternen, wohlgeformten Körper, im schwindenden Licht glitzern.
Benjamins Herz klopfte automatisch etwas schneller. Das hatten Nymphen und Nixen so an sich. Besonders bei Männern, die noch ungebunden waren. Pia musterte Malek und Hungoloz. Wie reagierte sie wohl auf das zauberhafte Wassergeschöpf? Bei Malek wusste sie bereits, dass er wegen seiner tiefen Liebe zu Nofrete, sozusagen immun gegen die Magie der Nymphen war. Aber auch Hungoloz wirkte erstaunlich gelassen.
Sie hatte jedoch keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn der König des Waldes erwiderte den Gruss der Nymphe ehrerbietig und sprach: „Es ist schön deine Bekanntschaft zu machen, Wächterin des Teiches! Mein Name ist Hungoloz. Ich habe das Erbe meines Grossvaters Markuloz angetreten, der leider vor einiger Zeit von uns gegangen ist.“
Die Augen der Nymphe wurden traurig. „Ja, ich habe es vernommen. Markuloz war ein sehr weiser, gütiger Mann. Wir alle werden ihn vermissen.“
Sie musterte nun den jungen Elfen etwas anzüglich und sprach dann: „Aber einen jungen König des Waldes zu haben, hat sicher auch seine Vorteile.“
Miowas Augen, welche nun im dämmrigen Zwielicht wie blaue, von Bäumen überschattete Quellseen wirkten, nagelten Hungoloz fest.
Sie schwamm etwas näher heran und kletterte dann aus dem Wasser. Ihr Körper war splitternackt, nur notdürftig bedeckt, von ihrem überlangen, blonden Haar und das Wasser lief in kleinen Bächen über ihre Beine und Brüste herab.
Benjamin und diesmal auch Hungoloz, versuchten etwas verlegen ihre Blicke abzuwenden. Malek blieb ruhig und schmunzelte leicht. Er kannte sich mit dem Wesen der Nymphen bereits gut aus. Miowa wollte scheinbar den jungen, schönen Elfen ganz genau in Augenschein nehmen. Sie streichelte leicht über seine Wange und meinte dann: „Du bist ein wahrlich stattlicher Bursche! Bestimmt wirst du auch ein guter König sein. “
Hungoloz trat etwas verlegen einen Schritt zurück und erwiderte mit distanzierter Höflichkeit: „Vielen Dank für deine Freundlichkeit, Blume der Wasser. Ich werde… mein Bestes geben.“
„Davon bin ich überzeugt,“ meinte die Nymphe.
Pia sprach nun, um die peinliche Stille, die sich auf einmal ausbreitete, zu durchbrechen: „Hungoloz macht seine Sache sehr gut. Wir sind aber eigentlich aus einem ganz anderen Grund hergekommen.“ Die grossen Augen der Nymphe richteten sich nun neugierig auf Pia.
„Aus was für einem Grund denn?“
„Wir haben gute Nachrichten für dich!“
„Wirklich?“ Das Interesse des Wassergeistes schien geweckt.
Pia nickte Hungoloz ermutigend zu und dieser zog nun das wunderschöne Collier der Nymphe aus seiner Tasche.
„Das hier,“ sprach er „ist endlich wieder aufgetaucht.“
Die Herrin des Teiches riss ihre Augen weit auf und rief: „Mein geliebtes Collier! Ich kann es nicht glauben! Wo habt ihr es gefunden?“
„Es befand sich in einem umgestürzten Baum, gut versteckt in einem Astloch. Der Dieb muss es damals dort hineingetan haben. Aus welchen Gründen auch immer, hat er es jedoch nie wieder abgeholt. Zwei unserer Leute haben es ganz zufällig gefunden, als sie sich auf dem Baumstamm niederliessen.
Wir freuen uns sehr, es dir endlich wieder zurückgeben zu können. Es war lange Zeit verschollen.“
„Das stimmt.“ Miowa trat wieder näher und streckte ihre Hand sehnsüchtig nach dem Collier aus.
Hungoloz überreichte es ihr feierlich. „Ich hoffe, dass wir damit den Frieden zwischen dem Waldvolk und dir noch einmal besiegeln können.“
Miowa nickte voller Freude und nahm die Kette und das Armband, das ihr damals die Waldbewohner angefertigt hatten, ab.
„Das hier will ich euch wieder zurückgeben. Dein Stamm hat damals all seine Reichtümer zusammengelegt, um mir meinen geliebten Schmuck zu ersetzen und mich stets mit grösstem Respekt behandelt. Sie sollen ihre Schätze zurückhaben, denn nun habt ihr mir meinen allergrössten Schatz wieder zurückgebracht. Dafür danke ich euch, von Herzen!“