Die kleine Sonnenkugel positionierte sich direkt über dem Heck des Bootes und so konnten die Freunde alles so gut sehen, wie es unter freiem Himmel der Fall gewesen wäre.
Pia und Benjamin wussten, dass vor ihnen ein mächtiges Höhlenlabyrinth lag, in dem man sich zurechtfinden musste. Darum waren sie sehr froh, Lumniuz an ihrer Seite zu haben. Dieser kannte die Gegend noch immer wie seine Westentasche. Sie hatten sich vorgenommen, zuerst nach Mungoluz zu sehen. Die anderen drei Erdgnomen, welche Lumniuz um Hilfe ersucht hatten, waren bereits vorausgereist, um ihren Ältesten über ihre baldige Ankunft zu informieren. Vielleicht konnte dieser ihnen ja sogar weiterhelfen.
Ihr Weg führte sie durch unzählige Gänge und Grotten. Einige davon waren voll mit Tropfsteinen, andere wiederum waren kahl und grau, oder bestanden aus den unterschiedlichsten Gesteinsschichten.
„Sollten wir nicht bald auf die Höhlenelfen treffen?“ fragte Pia.
Der Erdgnom erwiderte: „Ja, es dauert nicht mehr lange. Seht ihr da vorne das blasse, blaue Leuchten der Höhlenkristalle?“
Die Geschwister und Malek blickten in die angegebenen Richtung und sprachen: „Ja, du hast recht! Durch Solarias helles Licht, ist uns das gar nicht aufgefallen.“
„Eure kleine Sonnenfee sollte ihren Schein nun sowieso etwas reduzieren. Ihr wisst ja, wie empfindlich die Höhlenelfen auf Sonnenlicht reagieren. Auch wenn sie selbst von einer leuchtenden Licht- Aura umgeben sind, schadet ihnen UV-Strahlung. Denn das Licht, dass sie umgibt, fliesst aus ihrem Inneren heraus.“
„Hach!“ seufzte Pia. „Ich kann es kaum erwarten, bis wir diese wundervollen Geschöpfe wiedersehen. Sie waren so bezaubernd! Darum werde ich Solaria natürlich darum bitten, ihren Schein etwas herabzudimmen.“
Das war jedoch nicht einmal nötig, denn die kleine Sonnenfee im Inneren der Kugel, schien genau zu wissen, was zu tun war. Denn sogleich verblasste ihr Schein und ging in ein sanftes, magisches Leuchten aus blau und orange über. „Sie scheint unser Gespräch gehört zu haben,“ rief Benjamin. „Danke, liebe Fee!“
Wie vorhin der Kristall, leuchtete die Sonnenkugel kurz auf, als würde sie dem Mann antworten. Die Freunde nahmen das bewegt zur Kenntnis.
Dann blickten sie erneut in den Bereich vor sich. Dort war nun ganz deutlich ein blaues, phosphoreszierendes Leuchten zu sehen, das nun immer stärker wurde. Kurz darauf kamen sie in eine riesige, zauberhaft anmutende Grotte, deren Wände durchzogen waren, mit den blauschimmernden Adern der Höhlenkristalle! Goldene, leuchtende Wesen mit zarten Flügelchen, machten sich daran zu schaffen. Die Geschwister wussten von Lumniuz, dass die Höhlenelfen die blauen Höhlenkristalle nutzten, um ihre Städte und viele andere Gegenstände daraus zu fertigen. Es war ganz ähnlich wie bei den Salamandern im Feuerreich, welche allerdings den rotschimmernden Feuerquarz abbauten und genauso vielseitig verwendeten.
„Sie sind einfach so bezaubernd!“ schwärmte Pia.
„Ja, das sind sie!“ stimmte ihr Malek zu. „Ich habe noch nie echte Höhlenelfen gesehen. Ich kannte sie bisher nur aus Büchern und einigen mündlichen Überlieferungen. Es gibt einige interessante Legenden über sie.“
Der Bachlauf hatte sich nun zu einem glasklaren, blauschimmernden Höhlensee erweitert und Lumniuz hörte auf zu rudern. Einen Moment lang wurde es ganz still und die Herzen der Geschwister klopften dumpf gegen die Brust, während sie den wundervollen, goldenen Wesen eine Weile bei ihrer Arbeit zuschauten.
Diese hatten sie nun entdeckt und flogen zu ihnen herab. Wie ein Schwarm aus goldenen Flämmchen, umschwebten sie das Boot und betrachteten die Neuankömmlinge mit ihren grossen Kulleraugen. Man konnte bei ihnen kein Geschlecht erkennen. Sie sahen alle gleich aus und besassen sanfte, beinahe engelhafte Gesichtszüge.
„Seid gegrüsst!“ sprach der Erdgnom freundlich.
„Lumniuz! Es ist Lumniuz!“ riefen einige der Elfen mit ihren zarten Stimmchen. „Er ist wieder zurück! Aber… wer sind seine Begleiter?“
Sie flogen noch näher heran und einige besonders kecke Exemplare, setzten sich sogar auf das Boot, während sie die Geschwister und Malek eingehend und aus der Nähe, musterten. Der blonde Mann und die blonde Frau kommen uns irgendwie bekannt vor,“ sprachen sie.
„Kein Wunder,“ meinte Lumniuz. „Es sind Pia und Benjamin Turner die Grossen Führer.“
„Die Grossen Führer!“ riefen die geflügelten Wesen. „Die Grossen Führer sind also tatsächlich zurückgekehrt?“
„So ist es. Allerdings sind, seit ihrem letzten Besuch hier, zwanzig Menschenjahre vergangen.“
„Klar, jetzt kann ich mich wieder erinnern!“ rief eine der Elfen und setzte sich spontan auf Pias Schulter.
Diese musterte das süsse Wesen tief berührt und fragte: „Warst du es nicht, die uns damals bei unserem ersten Besuch ein Stück begleitet hat?“ fragte sie. „Ja genau, das bin ich. Es freut mich sehr euch wiederzusehen. Was führt euch diesmal hierher?“
Pia berichtete den zauberhaften Wesen von ihrer Mission und diese hörten interessiert zu. Schliesslich sprach die kleine Elfe, die es sich auf Pias Schulter bequem gemacht hatte: „Einen Greifen haben wir bisher noch nirgends gesehen. Allerdings können wir bestätigen, dass es gerade einige Unruhen unter den Gnomen im Erdreich gibt. Es sieht tatsächlich so aus, als würden die sogenannten Nordoks, einen Umsturz der herrschenden Ordnung anstreben.“
„Davon haben wir gehört,“ gab Lumniuz mit düsterer Miene zur Antwort. „Das ist auch mit ein Grund, warum ich hierher zurückgekehrt bin.“
„Du hast dich wirklich lange nicht mehr blicken lassen,“ meinten die Elfen. „Ja, seit Ululalas Tod gab es sehr viel im Kristallschloss zu tun. Allerdings habe ich das Erdreich schon lange vermisst und es ist wirklich schön wieder hier zu sein. Wenn es mir auch lieber gewesen wäre, es wäre unter anderen Umständen gewesen.“
Die Elfen nickten verständnisvoll und meinten dann: „Jedenfalls freuen wir uns sehr, dass du wieder zurück bist und natürlich werden wir nach dem Greifen Ausschau halten und euch über wichtige Entwicklungen auf dem Laufenden halten. Einige von uns könnten euch auch begleiten, wenigstens bis zu Mungoluz. Ihr scheint keine Fackeln dabei zu haben und es könnte gefährlich für euch sein, wenn ihr so wenig seht. Gerade treiben sich einige düstere Gesellen in der Gegend herum.“
„Das ist nicht nötig, auch wenn wir euer Angebot natürlich sehr schätzen,“ sprach Benjamin. „Aber wir haben bereits unsere ganz eigene Lichtquelle.“
Er deutete auf die Kugel mit der kleinen Sonnenfee darin. Erst jetzt nahmen die Höhlenelfen das matt schimmernde Objekt wahr, welches über ihnen in der Luft schwebte. Fasziniert scharten sie sich darum.
„Was ist das?“ fragten sie neugierig.
„Das ist Solaria. Eine kleine Sonnenfee, welche uns sonst den Weg erleuchtet. Sie hat ihr Licht im Augenblick nur so herabgedimmt, weil sie euch nicht schaden will.“
„Eine… Sonnenfee!?“ riefen die Elfen wie aus einem Munde. „Hier in unserer Welt? Das ist für uns ein sehr besonderes Ereignis. Ihr kennt vielleicht die Legende, in der es heisst, dass wir einstmals selbst Teil des Sonnenvolkes waren?“
„Ja, wir haben davon gehört,“ erwiderte Benjamin. „Es heisst dass es damals einen Konflikt zwischen den Sonnenfeen gab und dass einige von ihnen, dann zu den Höhlenelfen wurden.“
„Ja genau,“ gaben die geflügelten Wesen betrübt zurück. „Das ist auch mit ein Grund, warum wir in unseren Städten oft Statuen der Sonnentöchter aufstellen. Wir wollen damit unseren einstigen Ursprung ehren und jene, die noch immer über die Sonne wachen. Vielleicht werden wir dann irgendwann wieder in unsere alte Welt zurückkehren können und das Sonnenlicht wird uns nicht mehr schaden. Für uns ist es deshalb ein gutes Omen, dass eine der Sonnentöchter in unsere Welt kommt. Es bedeutet vielleicht, dass wir tatsächlich schon bald wieder in lichtere Sphären aufzusteigen vermögen. Noch wissen wir allerdings nicht, wie das vonstattengehen soll. Einige von uns haben schon versucht, sich wieder einmal ans Sonnenlicht zu wagen, aber die UV- Strahlung stellt nach wie vor eine tödliche Gefahr für uns dar.“
„Ihr dürft eure Zuversicht deshalb nicht verlieren,“ meinte Lumniuz mitfühlend. „Gerade sind viele Umwälzungen in den Welten im Gange und es wird sich in der nächsten Zeit bestimmt noch einiges verändern. Wenn es sogar möglich ist, dass bei den Zwergen das erste Zwergen-Mädchen, seit Jahrtausenden, geboren wurde, wird für euch vielleicht auch schon bald eine Rückkehr ihn eure alte Daseinsform möglich sein.“
„Das mit dem Zwergen-Mädchen haben wir vernommen!“ freuten sich die Elfen. „Das war ein Riesenereignis, welches sich unter den Völkern der Erdgeister wie ein Lauffeuer verbreitet hat. Das ist ebenfalls ein gutes Omen. Auch das die Grossen Führer wieder zurückgekehrt sind, hat bestimmt eine wichtige Bedeutung. So wünschen wir euch weiterhin eine gute Reise! Wir hoffen ihr findet bald, was ihr sucht.“ Mit diesen Worten neigten die Elfen nochmals ehrfürchtig ihre Häupter. Die Freunde taten es ihnen nach und bedankten sich bei den leuchtenden Wesen, dann setzten sie ihren Weg fort.