Benjamin konnte noch lange nicht einschlafen. Er legte sich auf sein Bett und starrte eine Weile, mit leerem Blick, hinauf zur Decke über ihm, welche mit goldenen Malereien verziert war. Seine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Sara. Ihr gemeinsamer Nachmittag war wirklich sehr schön gewesen. Die junge Frau hatte es ihm wirklich angetan. Sie war meistens sehr fröhlich und offen, doch da war auch eine Nachdenklichkeit in ihrem Wesen, die ihn ebenfalls sehr bewegte. Es stimmte ihn traurig, dass sie sich manchmal selbst so niedrig einschätzte, sich so oft in Frage stellte. Dabei gab es dazu doch gar keinen Anlass. Wieder zog Wärme und Zuneigung in sein Herz ein. Für ihn war Sara das wundervollste Mädchen, das ihm jemals begegnet war und er hätte ihr so gerne mehr Zeit gewidmet. Er wollte ihr so viel schenken, ihr die Welt zeigen, ihr dabei helfen, eine neue Lebensfreude zu finden. Doch seine Mission nahm ihn gerade vollkommen in Anspruch und bei den Reisen, die er jeweils unternahm, konnte sie leider nicht mitkommen, weil sie ja die Sphärenwanderung nicht beherrschte. Nun… es wäre wohl auch zu gefährlich für sie gewesen, denn sie war es sich nicht gewöhnt zu kämpfen und sich all den Gefahren zu stellen, die da draussen auf sie lauerten. Vielleicht war es ja auch besser, wenn er und sie, sich nicht allzu nahe kamen. Sein Leben wäre sowieso nichts für sie gewesen. Seufzend drehte er sich zu Seite, löschte das Licht und fiel schliesslich in einen unruhigen Schlaf.
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Sara bewegten ganz ähnliche Gedanken, wie Benjamin. Sie war dem wundervollen Mann so dankbar, dafür, dass er ihr heute so viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Und sie hatte sich ihm gegenüber, teilweise so komisch verhalten. Sie machte sich grosse Vorwürfe deswegen, auch wegen ihrer Negativität, hinsichtlich ihres Lebens. Eigentlich hatte sie doch alles, was man sich wünschen konnte. Sie arbeitete und lebte an einem wunderschönen Ort. Alle behandelten sie liebevoll und ihre Tante, besass sogar ein wundervolles Pferd, mit dem Sara jederzeit ausreiten konnte. Warum nur, konnte sie nicht einfach zufriedener sein?
Ben dachte jetzt bestimmt schlecht von ihr. Er war so ganz anders als sie: So stark, weise, gütig und in sich ruhend. Davon war sie noch weit entfernt. Dennoch hatte er sich um sie gekümmert, Zeit mit ihr verbracht und ihr seine Freundschaft angeboten. Ausserdem hatte er ganz ähnliche Interessen wie sie. Wie gerne hätte sie ihn etwas besser kennengelernt. „Oh wie gerne wäre ich Morgen mit ihm ausgeritten,“ dachte Sara wehmütig bei sich. „Er fehlt mir jetzt schon. Wie wird das erst, wenn er wieder fortgeht? Aber vielleicht will er mich ja auch vergessen. Es wäre vermutlich sowieso besser so. Bestimmt gibt es viele Mädchen und Frauen, die ihn umschwärmen und die schöner, klüger und dankbarer sind als ich.
Auf einmal brannten Tränen in ihren Augen. Doch sie tadelte sich selbst: „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt um zu heulen! Benjamin hat heute den Nachmittag mit mir verbracht. Er hat gesagt, dass er mich gerne besser kennenlernten will und war sehr nett zu mir. Das hätte er sicher nicht gemacht, wenn er sich nicht für mich interessieren würde.“
Diese Gedanken, weckten in Sara ein Wohlgefühl und ihre Tränen versiegten wieder. Sie kuschelte sich tief in die bunte Steppdecke, die ihr einst ihre Tante genäht hatte und kurz darauf schlief sie ein.
Sie träumte von Benjamin. Er sass auf dem Rücken von Silberstern und ritt auf sie zu. Ein Stirnband mit einem grossen Türkis, der magisch glänzte, war um seinen Kopf geschlungen. Er trug eine dunkle, weite Hose und dazu ein weisses Hemd, das über seiner Brust geöffnet war. Liebevoll lächelte er sie an und reichte ihr seine Hand.
Sara ergriff diese mit einem tiefen Glücksgefühl und liess sich von Ben auf das Pferd ziehen. In der linken Hand trug sie auf einmal einen grossen Strauss aus strahlendgelben, kugelförmiger Blumen und gekleidet war sie in ein schneeweisses Gewand. Die Sonne leuchtete golden vom Himmel herab und daneben war sogar der Mond zu sehen!
Benjamin umfasste sie zärtlich mit seinen Armen, dann stiess er Silberstern die Fersen in die Flanken und dieser preschte mit ihnen auf den Horizont zu, der auf einmal so unendlich weit geworden war…!
Eine besondere Reise/ Das Reich der Trolle
Am nächsten Tag, standen die Geschwister und Malek früh auf und nahmen noch ein kurzes Frühstück zu sich. Danach beschlossen sie, sich irgendwo in der näheren Umgebung einen Platz zum Meditieren zu suchen und dann ins Trollenreich aufzubrechen. Als sie sich, von allen verabschiedet hatten, machten sie sich auf den Weg.
Benjamin hielt ganz automatisch nach Sara Ausschau. Doch sie war nirgends zu sehen. Das bekümmerte ihn irgendwie, hatte er doch gehofft, sich auch noch von ihr verabschieden zu können. Doch vermutlich hatte Sara nicht wirklich Interesse an ihm oder sah ein, dass er nicht der Richtige für sie war. Das war wahrscheinlich auch besser so.
Er stiess einen leisen Seufzer aus und folgte dann seiner Schwester und Malek, welche tüchtig ausschritten. Auch er musste sich jetzt wieder seiner Mission zuwenden. Und diese Mission liess sowieso keinen Raum für eine tiefere Liebesbeziehung.
Sara bewegten auch diesmal ganz ähnliche Gedanken. Das war auch mit ein Grund, warum sie schon früh aufgestanden war und Silberstern gesattelt hatte. Nun sass sie auf dessen Rücken und schaute von einem etwas erhöhten Standpunkt aus zu, wie Benjamin und die anderen aufbrachen. Irgendwie wollte sie den blonden Mann noch ein letztes Mal sehen, bevor er wieder für so lange fortging. Dabei wollte sie aber nicht, dass er sie sah. Sara schaute der kleinen Reisegruppe noch eine ganze Weile hinterher, bis sie am Horizont verschwunden waren.
Dann wendete sie Silberstern und ritt, Richtung der lichten Wälder des Juwelenreiches davon. Wie schon so oft, begann sie nun mit ihrem Reittier, wie mit einem Menschen zu sprechen: „Tja, mein Lieber, Benjamin ist schon etwas Besonderes. Niemals hätte ich gedacht, dass sich so ein wundervoller Mann mal für mich interessieren würde. Er ist wirklich ein Märchenprinz. Sehr guttaussehend, edel und liebevoll. Ich hoffe er denkt jetzt nicht schlecht über mich. Ich hätte gestern nicht so negativ über mein Leben sprechen sollen. Es ist nur… ich will einfach noch etwas erleben, bevor ich alt und grau werde. Dieser wundervolle Traum, den ich gestern hatte,… ach Silberstern, es wäre soo schön, wenn dieser in Erfüllung gehen würde. Wenn ich mit Benjamin und dir zusammen die Welt erkunden könnte. Weisst du, ihr seid eigentlich meine einzigen Freunde. Natürlich liebe ich auch meine Tante, aber es ist einfach nicht dasselbe. Ich habe mich Benjamin irgendwie viel mehr anvertraut. Bei ihm habe ich weniger Mühe, mein Inneres zu offenbaren. Ganz ähnlich wie bei dir.“
Sara tätschelte liebevoll den Hals des Pferdes. Dieses wieherte leise, als ob es ihre Worte verstehen würde.
Das Wetter war heute sehr schön und ideal, um eine Ausritt zu machen.
Die Sonne strahlte von einem stahlblauen Himmel und es war angenehm warm. Die Luft wirkte durchwebt von Licht. Kleine, fast durchsichtige Mücklein tanzten im Schatten der Bäume und die Vögel zwitscherten munter im Geäst.
Das Juwelenreich besass keine so dichten, dunklen Wälder, wie das Kristallreich. Es gab hier kaum Tannen, sondern vorwiegend Laubbäume, welche mehr Licht durch liessen. Darum waren die Wälder hier auch weniger unheimlich, denn man konnte immer weit genug sehen und sich auch problemlos zwischen den Stämmen hindurchbewegen, welche meistens nicht so eng zusammenstanden. Vermutlich hatte das irgendetwas mit dem hier herrschenden Klima zu tun.
Hier im, von sanften Hügelzügen durchzogenen Juwelenreich, gab es ausserdem eine Menge Rebberge, deren Trauben prächtig gediehen. Auch sonst gab es hier mehr als genug Land, um Nahrung anzubauen.
Auf einmal erblickte das Mädchen vor sich zwei schlanke Birkenbäume. Ihre weissen Stämme leuchteten im Sonnenlicht und ihre Blätterkronen schienen irgendwie ineinander verwoben zu sein, so dass sie einen Art natürlichen Bogen bildeten, unter dem man gut hindurchreiten konnte. Ohne sich viel dabei zu denken, trabte Sara mit Silberstern unter den beiden Bäumen hindurch.
Doch auf einmal kam des der Frau vor, als ob sich ein grosses Spinnenetz über ihr Gesicht legen würde! Sie schloss kurz die Augen und wollte die etwas klebrige Substanz wegwischen, doch da war es auch schon wieer vorbei.
Als die Frau ihren Blick wieder auf die Landschaft vor sich richtete, stutzte sie. Die Umgebung sah auf einmal ganz anders aus, als sie diese in Erinnerung hatte. Sie zügelte Silberstern und drehte sich im Sattel um. Doch die beiden Birkenbäume standen noch immer da und die Landschaft, welche sie umgab, war dieselbe wie immer. Vielleicht erinnerte sie sich einfach nicht mehr genau an das Gebiet, in dem sie sich gerade befand. Sie zuckte mit den Schultern und ritt dann weiter. Bestimmt würde sie sich schon bald wieder besser auskennen…