„Und was jetzt?“ fragte Benjamin ratlos.
„Keine Ahnung,“ erwiderte Pia. „Ich hätte mir das Ganze schon etwas einfacher vorgestellt. Der Alten Windfrau muss es doch auch wichtig sein, dass wir den Kranken in den Welten helfen. Warum verhält sie sich nur so?“
„Ich verstehe das auch nicht so ganz,“ sprach Malek. „Sie sagte jedenfalls, wir sollen Morgen wiederkommen. Dann übernachten wir einfach nochmals in unserer alten Höhle. Wir wollten diese Micha und Manuel sowieso noch zeigen. Was meint ihr?“
„Oh ja! Ich würde die Höhle sehr gerne sehen!“ rief Manuel und Micha nickte eifrig. „Dann machen wir uns also mal auf den Weg dorthin!“
Als Pia und Benjamin die Höhle betraten, die einstmals für fast zwei Wochen ihr zu Hause gewesen war, übermannten sie intensive Gefühle der Wehmut und Freude. Alles war hier noch genauso, wie sie es vor 20 Jahren verlassen hatten. Das Gedicht das sie damals in die Felswand gemeisselt hatten, prangte noch immer, wie ein ewiges Vermächtnis, an derselben Stelle.
Vertraut ihr ganz auf Lichtes Hand, wird alle Angst aus euch verbannt
Lasst euch führen durchs ganze Leben, dann wird euch Antwort stets gegeben!
Geduld wird dann ins Herzen ziehn und die Demut neu erblühn.
Dann könnt ihr wahrlich Ruhe finden, alles Übel überwinden!
So seid geduldig wie dieser Stein…, das soll euer Friede sein!
„Ein wunderschönes Gedicht!“ sprach Manuel bewegt. „Und ihr habt das tatsächlich von Hand in den Stein geritzt?“
„Ja, das haben wir,“ antwortet Pia. „Es war ziemlich anstrengend. Aber es war damals für uns wie eine Meditation und zugleich wollten wir es verinnerlichen, denn die Geduld war das was wir lernen mussten. Geduld und Vertrauen.“
„Na, klar!“ rief Micha, als ob er gerade eine Erleuchtung erlebt hätte. „Geduld und Vertrauen, das war damals das Thema und ist es wohl auch heute wieder.“
„Was meinst du damit?“ fragte Malek interessiert.
„Na, vermutlich gab die Windfrau euch die Gewänder noch nicht, weil sie euch genau an diese Lektion erinnern will.“
Benjamin nickte beeindruckt. „Damit hast du vermutlich den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Ja klar! So muss es sein! Die Windfrau will uns einmal mehr testen.“
Er klopfte dem Jungen auf die Schulter und meinte: „Ein wirklich bemerkenswerter Junge, unser Micha. Du musst ihn wirklich in die Lehre nehmen Malek!“
Der Magier nickte und bedachte den 16-jährigen mit einem anerkennenden Blick. „Du hast vermutlich wirklich recht,“ sprach er. „Dann warten wir also einfach und beweisen unsere Geduld und unser Vertrauen.“
„Sieht so aus. “
„Obwohl, ich weiss nicht ob das diesmal auch reicht,“ gab Pia zu bedenken. „Vielleicht sind wir ja wirklich nicht mehr würdig. Das kann man nie wissen. Ich meine, was haben wir schon Großes bewirkt, in den vergangenen Jahren?“
„Du solltest das nicht so negativ sehen Pia,“ sprach Manuel. „Ihr habt so viel vollbracht und vielen Geschöpfen, grosses Glück und grosse Freude geschenkt.“
„Aber da waren wir irgendwie noch… anders. Wir waren Kinder ohne besondere Vorbelastungen, voller Unschuld und Enthusiasmus. Dieser Enthusiasmus… er ist uns verloren gegangen, zumindest mir. Ich war es schliesslich auch, die das Medaillon nicht gut genug beaufsichtigt hat. Vermutlich ist es meine Schuld, dass wir die Gewänder nicht bekommen. Alles ist meine Schuld!“
„Jetzt verliere dich nicht in Selbstvorwürfen!“ tadelte sie Malek. „Du bist nach wie vor ein Leuchtfeuer für uns alle und darfst dich nicht von Zweifeln und Ängsten leiten lassen!
Wir werden die Gewänder bekommen, weil es einfach richtig ist und wenn nicht, finden wir einen anderen Weg. Wir haben noch immer einen Weg gefunden. Wir sollten nicht in dieselbe Falle tappen wie damals, als wir das erste Mal hier waren.“
„Malek hat recht!“ stimmte Benjamin zu. „Es wird bestimmt alles gut! Ruhen wir doch erst mal etwas aus und Morgen wird alles wieder besser aussehen.“
Zu beinahe derselben Zeit, in der Menschenwelt, waren die Eltern von Pia und Benjamin, ziemlich ratlos und besorgt.
Vor kurzem war ein Brief angekommen, den ihre Kinder an sie geschrieben hatten. Was darin stand, klang sehr seltsam. Pia und Benjamin sprachen von einem Reich der Märchen, Sagen und Legenden, in das sie wieder zurückkehren mussten. Sie berichteten, dass sie vor 20 Jahren schon mal dort gewesen waren und damals viele Abenteuer bestanden hatten. Auch sprachen sie von grossen Umwälzungen im Universum und dass sie als Grosse Führer gebraucht wurden, um alle Welten, die Sichtbaren und Unsichtbaren, in das neue Zeitalter zu führen. Sie ermahnten ihre Eltern, die jüngsten Ereignisse, mit den beiden vermeintlichen Asteroiden, die in der letzten Zeit auf der Welt eingeschlagen hatten, ernst zu nehmen und sich auf die Umwälzungen, so gut als möglich, vorzubereiten.
Julia und Daniel Turner wussten anfangsnicht, was sie mit den seltsamen Prophezeiungen ihrer Kinder anfangen sollten. Waren diese womöglich verrückt geworden?
Sicherheitshalber kauften sie dennoch genug Vorräte ein und hörten jeden Tag Nachrichten, damit sie auf dem Laufenden blieben.
Sie machten sich grosse Sorgen um ihrer Kinder und Zweifel und Angst, waren ihre ständigen Begleiter.
„Im Radio hat es wieder einige beunruhigende Meldungen gegeben,“ sprach Daniel eines Tages besorgt zu seiner Frau. „An der Küste breiten sich immer mehr Seuchen aus, besonders eine Seuche scheint sehr schlimm zu sein. Sie beginnt mit Husten und leichtem Fieber, dann geht es weiter mit plötzlichen Krämpfen und Schweissausbrüchen und am Ende fallen die Leute ins Koma. Noch niemand weiss, um was für eine Seuche es sich dabei genau handelt. An einigen Orten gibt es ausserdem immer mehr Unruhen und Plünderungen. Die Diebstähle sind, in den letzten Tagen, rasant angestiegen. Die Leute sind überall sehr gereizt. Gerade fand in einer Schule eine Schiesserei statt. Viele Jugendliche schliessen sich mehr und mehr zu Banden zusammen und bekämpfen einander gegenseitig. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Dinge auch in Glastonbury Einzug halten werden. Du solltest vielleicht nicht mehr allein zum Einkaufen July.“
„Meinst du, es ist schon so schlimm?“
„Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich glaube, wir kehren sowieso besser in unser altes Haus am Waldrand zurück. Dort sind wir vielleicht länger sicher und es hat auch einen guten Keller, falls wir irgendwo Unterschlupf suchen müssen. Zum Glück haben wir noch einen Schlüssel für das Haus.“
„Du willst wirklich wieder dorthin zurück?“ fragte Julia und ihre Augen leuchteten, denn dort würden sie sich ihren Kindern vermutlich näher fühlen, als in ihrer Stadtwohnung.
„Ja,“ sprach Daniel „das alte Haus hat auch mehr Platz, für Vorräte und sonstige, wichtige Dinge. Einige Produkte gibt es ja in den Läden schon nicht mehr, das macht die Leute wohl auch nervös. Pia und Benjamin hatten wohl doch recht mit ihren Prophezeiungen. Sie schrieben irgendetwas von drei apokalyptischen Reitern, die Krieg, Krankheit und Tod bringen. Vielleicht sind sie bereits am Werk. Ach, wenn jetzt nur die ganze Familie vereint wäre. Ich vemisse unsere Kinder so sehr.“
Daniel blickte traurig zu Boden. Julia legte ihre Arme um ihren Mann und sprach: „Bestimmt geht es ihnen gut und sie werden bald zu uns zurückkehren. Wir dürfen die Hoffnung einfach nicht verlieren.“ Daniel nickte zustimmend und dann machten er uns seine Frau sich daran, alles Nötige zusammenzupacken.