Als die Höhlenelfen ihren Blicken mehr und mehr entschwanden, begann die kleine Sonnenfee Solaria erneut so hell zu strahlen, dass die Freunde wieder jedes Detail sehen konnten. Still glitt das Boot dahin. Man hörte nur das leise Klatschen der Ruder, das an den Felswänden widerhallte.
„Schon bald sind wir wieder zu Hause,“ sprach Lumniuz mit feierlicher Stimme. „Ich merke erst jetzt, wie befreit ich mich fühle. Das Leben im Kristallschloss, war in mancherlei Hinsicht sehr anspruchsvoll und oft fühlte ich mich auch nicht verstanden.“
„Was meinst du damit?“ wollte Benjamin wissen. „Nun ja… viele empfanden es wohl als ungewöhnlich, dass jemand meiner Rasse, im Kristallschloss so eine wichtige Rolle innehatte. Tatsächlich haben wir Erdgnomen den Ruf, uns aus solchen Angelegenheiten eher herauszuhalten. Es bestehen auch sonst noch immer viele Vorurteile uns gegenüber.“
„Was denn für Vorurteile?“
„Viele können nicht verstehen, dass wir gerne unter der Erde leben. Sie meinen es sei trostlos und schmutzig hier. Doch sie vergessen, dass wir einstmals direkt aus der Erde erschaffen wurden. Das alles ist ein Teil von uns. Die Helligkeit und die Unruhen im Schloss, entsprach eigentlich nie so wirklich meinem Wesen. Darum freue ich mich jetzt wirklich sehr, wieder in meine wahre Heimat zurückzukehren. Genaugenommen kann ich es nicht erwarten.
„Die Leute, die ein solch beschränktes Bild vom Reich der Erde haben, haben keine Ahnung,“ meinte Pia mitfühlend. „Ich fand es immer sehr schön bei euch, auch wenn ich natürlich nicht immer hier unten leben könnte. Dein Volk versteht es meisterlich, alles gemütlich und dennoch naturnah einzurichten. Ausserdem macht ihr euch ja auch die wenigen Lichtquellen zunutze, indem ihr eure Wohnhöhlen z.B. unter dem Wurzelwerk von Bäumen anlegt.“
„Ja,“ gab Lumniuz zur Antwort. „Auch wir Erdgnomen haben gerne etwas Licht, allerdings nicht allzuviel. Darum habe ich mich, während meines Lebens im Kristallschloss oft und gerne in etwas dunklere Winkel zurückgezogen. Dennoch… vieles hat mir trotzdem gefehlt: Der Duft der feuchten Erde, die verästelten Wurzeln der Bäume, die im Erdreich alles durchziehen und auch der enge Zusammenhalt meines Volkes. Ihr wisst, wir hatten nicht mal Türen zwischen den unterschiedlichen Wohnbereichen und alle vertrauten einander. Dass dies sich nun so verändert haben soll, stimmt mich sehr nachdenklich. Ich hoffe nur, die Zustände in meiner alten Heimat sind nicht allzu schlimm geworden.“
„Nun…,“ erwiderte diesmal Malek, mit ernster Miene. „Es wurde immerhin ein Anschlag auf euren Ältesten verübt. Das ist schon ziemlich schlimm.“
Lumniuz nickte und seufzte tief. Dann schwiegen sie wieder und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Nachdem sie einige weiteren Höhlen und Gänge durchquert hatten, trafen die Freunde schliesslich auf die ersten, von Gnomen bewohnten Gebiete. Die steinernen Wände der Grotten wurden nun immer mehr von weicherem Erdreich abgelöst. Wie bei den Erdgnomen üblich, gab es hier keine festen Häuser und Strassen. Es war viel mehr so, dass sich über eine grosse Fläche hinweg Wohnnische, an Wohnnische reihte. Diese wurden nur durch einige dünne Erdwälle, die ab und zu durchbrochen wurden mit eckigen oder runden Öffnungen, voneinander abgetrennt. Es gab keine Türen oder Fenster, nur einige Vorhänge sorgten für etwas Privatsphäre. Diese waren jedoch meistens offen.
Es gab grosse Gemeinschaftsräume, in denen sich die Gnome zum Essen, Spielen oder Plaudern verabredeten. Diese befanden sich in, aus der Erde herausgearbeiteten, oder natürlichen, grossen Höhlen. Viele dieser Höhlen und auch einige der Wohnnischen befanden sich eben unter Baumwurzeln und liessen etwas Tageslicht herein. Ansonsten wurde die undurchdringliche Finsternis mit einigen golden leuchtenden Öllampen erhellt.
Es hatte sich nur wenig verändert, seit die Geschwister das erste Mal hier gewesen waren. Allerdings fiel ihnen auf, dass eine grösser Anzahl von Gnomen in Rüstungen herumgingen und sie etwas argwöhnisch musterten.
„Es sieht so aus, als hätten sie die Sicherheitmassnahmen doch ein wenig erhöht,“ stellte Lumniuz fest. „Es gibt mehr Soldaten, die Patrouille laufen. Ansonsten aber… sind die Wohnnischen immer noch wie früher. Da hinten ist übrigens die Gemeinschaftsküche! Erinnert ihr euch?“
„Ja genau!“ freute sich Pia. Sie traten in eine riesige, natürliche Höhle, die mit bizarren Tropfsteinen geschmückt war. In der Mitte dieser Höhle gab es eine riesige Kochstelle, deren Feuer Wärme und Licht verströmte. Jeden Tag war eine andere Gruppe, der hier im Zentralviertel ansässigen Gnomen, dafür zuständig, für das körperliche Wohl der anderen zu sorgen. Sie kochten, buken und wuschen am Ende das Geschirr ab. Hier trafen sich alle dreimal täglich zum gemeinsamen Mahl. Benjamin und Pia hatten sehr schöne Erinnerungen an diese gemeinsamen Stunden mit den Gnomen. Die Erdmännchen waren wirklich ein sehr freundliches, munteres Völkchen und besonders Lumniuz wurde von ihnen herzliche begrüsst, wenn sie an ihnen vorbeigingen. Ihr braungewandeter Freund schien hier ganz in seinem Element zu sein, denn seine Augen strahlten vor Freude und er wechselte öfters ein paar Worte mit seinen Artgenossen.
„Du scheinst hier wirklich eine sehr angesehen Persönlichkeit zu sein,“ bemerkte Benjamin.
„Das mag stimmen. Aber eigentlich möchte ich einfach nur wieder ich selbst sein, ohne ständige Verpflichtungen, ohne immer irgendeinen Bild gerecht zu werden.“
„Ganz wird wohl nicht zu vermeiden sein, dass die Erdgnomen zu dir wie zu einem Meister aufschauen. Immerhin hast du im Kristallschloss sehr viel geleistet und viele junge Leute, aus den unterschiedlichsten Völkern, ausgebildet.“
„Zumindest habe ich mein Bestes gegeben, allerdings immer in der Hoffnung, dass ich irgendwann wieder hierher zurückkehren kann, um ein ruhiges, beschauliches Leben zu führen.“
„Ein wenig wirst du für deinen Ruhestand schon noch arbeiten müssen!“ vernahmen sie auf einmal eine Stimme hinter sich. Etwas erschrocken drehten sich alle um. Vor ihnen stand ein uralter Gnom mit silbrigweissem, langem Haar, einem dazu passenden Bart und einem mit tiefen Furchen durchzogenen Gesicht. Zwei aquamarinblaue Augen schauten die Freunde verschmitzt an.
„Mungoluz!“ rief Pia voller Freude, „es ist Mungoluz!“ Sie lief auf den
Gnomen- Ältesten zu und umarmte ihn spontan. Dieser lachte voller Freude. „Pia! Du bist aber gross geworden, so schön, dass ihr wieder hier seid!“ Er begrüsste nun auch die anderen. Am Ende wandte er sich Lumniuz zu, der sich etwas scheu im Hintergrund hielt.
„Hallo mein Junge!“ sprach der Alte. „Willst du mich denn nicht richtig begrüssen? Wie wäre es mit einer Umarmung?“
Der alte Gnom breitete seine Arme aus. Die anfängliche Unsicherheit fiel nun ganz von Lumniuz ab und er folgte der Aufforderung. „Du hast also endlich zu uns zurückgefunden,“ sprach der ältere Gnom bewegt. „Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr ich mich freue. Auch dass ihr wieder hier seid, Grosse Führer. Es gibt uns Hoffnung in diesen doch recht dunklen Zeiten. Doch kommt er einmal mit ich meine Wohnnische, dort besprechen wir alles Weitere!“