Der wandelnde Alptraum
Doch der unheimliche Drachen, verfolgte ihn auch noch in seinen Träumen. Auf einmal fand sich der Junge in einem finsteren Wald wieder, dessen verdorrte Bäume, ihre skelettartigen Zweige hinauf in den nebelverhangenen Himmel reckten. Die Sicht war sehr schlecht und Micha musste sich mit den Armen ausgestreckt, durch die Dunkelheit tasten. Und dann auf einmal, tauchte vor ihm ein oranges, boshaft funkelndes Augenpaar auf! Der Junge wollte davonlaufen, doch seine Beine waren schwer wie Blei. Aus dem dichten Nebel, der alles durchzog, schälte sich nun die schreckliche Silhouette des Todeschattens!
Grenzenloses Entsetzen ergriff Micha und er versuchte noch schneller zu laufen. Doch es ging nicht. Es war, als würde er auf der Stelle treten und der fürchterliche Drachen kam näher und näher…
Das Leuten der Alarmglocke, riss den Jungen aus seinem Schlaf. Einen Augenblick lang, glaubte er von einem Alptraum in den Nächsten gestolpert zu sein. Doch dann wurde ihm bewusst, dass die Glocke wirklich läutete. Sofort schlüpfte er in seine Kleidung und lief nach draussen. Hier herrschte ein heilloses Durcheinander. Leute liefen umher, schrien und gestikulierten. „Ein Drachen!“ hörte er einige von ihnen schreien. „Ein Drachen greift die Stadt an!“
„Ein Drachen?“ Micha glaubte sich verhört zu haben. Sein Vater Pete, kam ihm nun, mit Lina und Marius entgegengelaufen. „Wir müssen uns sofort alle bewaffnen!“ rief er und warf seinem jüngeren Sohn einen Speer zu. „Aber… was ist denn passiert?“
„Lasst uns auf die Mauer gehen, um uns einen Überblick zu verschaffen!“ meinte Marius und lief seiner Familie voran, hinauf auf die Schlossmauern.
Und... was Micha dort sah, liess sein Blut zu Eis erstarren. Ein riesiges Untier, von mindestens 15 Metern Körperlänge, bewegte sich auf die Stadt zu und legte alles auf seinem Wege in Schutt und Asche. Es war… ein Todesschatten!
„Bei allen Geistern!“ stiess Micha hervor, „gerade habe ich etwas über diesen Drachen gelesen und dann von ihm geträumt. Es ist, als wären meine Alpträume tatsächlich wahr geworden. Ich muss den Leuten da unten unbedingt helfen!“ Micha drehte sich um und lief wieder davon, während sich bereits die ersten Bogenschützen auf der Mauer postierten und versuchten das Monster mit ihren Pfeilen aufzuhalten.
„Micha warte!“ rief seine Mutter ihm noch hinterher, doch der 16- jährige hörte nicht auf sie. Er lief hinüber zum Stall, griff sich ein Kettenhemd, dazu seinen Waffengurt mit Schwert und Dolch und sattelte dann sein Pferd. Kurz darauf preschte er aus dem Stadttor, bevor dieses ganz geschlossen wurde.
Er trieb sein Reittier zur Höchstgeschwindigkeit an. Dabei ignorierte er die warnenden Rufe seiner Eltern und die der anderen Stadtbewohner. Er musste dieses Monster stoppen! Das war seine Aufgabe, denn sonst hätte er doch diesen Traum nicht gehabt, der nun Wirklichkeit geworden war. Während er so dahinritt, dachte er nochmals darüber nach, was er über diese Art Drachen gelesen hatte und er hoffte jetzt einfach, dass dieser nicht irgendeine untote Kreatur war, die man gar nicht töten konnte. Auf jeden Fall würde er ihn von den anderen Stadtbewohnern ablenken. Was aus ihm wurde…, darüber dachte er gerade nicht nach. Es war ähnlich wie damals bei Valiocha. Da hatte er ebenfalls gehandelt, ohne sich über die weiteren Folgen Gedanken zu machen. Micha war jetzt extrem fokussiert und sein rasender Puls hatte sich auf einmal beruhigt.
Der schreckliche Drachen bewegte sich währenddessen weiterhin unerbittlich auf das Schloss zu und unter seinem tödlichen Atem, fielen die Leute, wie verdorrende Bäume. Die Pfeile, die die Bogenschützen auf das Monster abfeuerten, beeindruckten dieses ebenfalls kaum.
Micha ritt einen weiten Bogen und näherte sich dann von hinten dem gewaltigen Reptil. Dieses schien ihn vorerst nicht zu bemerken und wälzte sich immer weiter voran. Seine nachtblauen Schuppen waren von einer öligen Substanz überzogen, die eine schleimige Spur auf dem Boden hinterliess. Sein weisses, totenkopfähnliches Haupt, schlenkerte hin und her, während es seinen tödlichen, bläulich- grünen Atem ausstiess. Micha lenkte sein Pferd ganz nahe an die Bestie heran und sprang dann herüber auf dessen schuppigen Schwanz. Er hielt sich an den Stacheln selbigen fest und begann dann, wie ein Äffchen, weiter hinauf zu klettern.
Es war wie damals bei Valiocha. Der Todesschatten stank jedoch bestialisch. Es war ein Duft aus Fäulnis und ja… Tod. Dieser Drachen hier, machte seinem Namen wirklich alle Ehre.
Valiocha war eigentlich ein sehr schönes, majestätische Tier gewesen, doch dieses hier…, schien aus den schlimmsten Alpträumen entsprungen zu sein. Warum nur, war es gerade jetzt erschienen? Doch Micha konnte nicht länger darüber nachdenken. Er musste weiterklettern, bevor das Monster ihn bemerkte. Die spitzen Stacheln, die sich über dessen ganzen Rücken und auch noch über seinen Nackenbereich zogen, waren sehr gefährlich und der Junge musste aufpassen, dass er sich nicht daran verletzte. Doch schliesslich hatte er es geschafft! Er befand sich nun genau zwischen dem oberen Ansatz des gruseligen, weissen Hauptes und dem breiten Nackenbereich. Micha packte nun sein Schwert und versenkte dessen Klinge, bis zum Heft, in die Vertiefung, die diese beiden Bereiche voneinander trennte. Der Drache bäumte sich mit einem schmerzerfüllten Brüllen auf und begann zu taumeln. Jetzt erst merkte er, dass sich jemand auf seinem Rücken befand und er versuchte Micha nun loszuwerden, indem er sich weiterhin aufbäumte, drehte und wendete. Der Junge kam sich vor wie beim Rodeo und schliesslich, konnte er sich nicht mehr länger halten und wurde vom Rücken des Todesschattens geschleudert. Zum Glück hatte er im Kampftraining gelernt, sich richtig abzurollen und war sogleich wieder auf den Beinen.
Das Monster schien ziemlich desorientiert zu sein und taumelte immer noch. Vergeblich versuchte es Petes jüngeren Sohn mit seinem Gift- Atem zu treffen. Doch dieser wich ihm weiterhin geschickt aus, während er nun mit dem Speer nach ihm stach. Der Todesschatten wurde immer rasender und tatsächlich gelang es ihm, Micha mit einem hinterhältigen Schlag seines Schwanzes zu Boden zu werfen. Gleich darauf war er über dem Jungen und öffnete erneut sein riesiges Maul. Diesmal jedoch schnellten seltsame Tentakel aus seinem Schlund hervor und wollten Micha vermutlich das Leben aussaugen. Der Anblick war so entsetzlich, dass der Junge aufkeuchte. Der Speer war seinen Händen beim Sturz entglitten und ihm blieb jetzt nur noch sein Messer. Damit hackte er dem schrecklichen Ungeheuer nun die widerlichen Tentakel ab. Wieder brüllte dieses voller Schmerz auf und taumelte zurück. Blut drang aus seinem Maul mit den dolchartigen Zähnen. Micha nutzte den Moment, hechtete herüber zu seinem Speer und als der Drachen, nun blind vor Schmerz und Zorn, erneut über ihn herfallen wollte, richtete der Jungen den Speer auf und rammte ihn dem Drachen tief in den Schlund. Das war zu viel! Die monströse Kreatur versuchte sich noch einmal aufzubäumen, doch dann fiel sie tot zu Boden. Micha hatte den Todesschatten besiegt!
Atemlos blieb der junge Drachentöter einen Moment lang neben den stinkenden Kadaver liegen, dann erhob er sich wieder, sammelte seine Waffen ein und machte sich dann daran, den Heimweg anzutreten. Einige Reiter kamen ihm entgegen, an ihrer Spitze ritte sein Vater Pete.
„Micha!“ rief dieser, voll tiefer Erleichterung, sprang aus dem Sattel und umarmte seinen Sohn überglücklich. „Du… hast es geschafft! Du hast ihn tatsächlich besiegt! Ich kann es kaum fassen.“
„Es war eigentlich gar nicht mal so schwierig,“ versuchte Micha bescheiden abzuwiegeln. „Da war diese verwundbare Stelle zwischen Nacken und Kopfbereich.
Bei Valiocha war es schwieriger, durch den Schuppenpanzer zu dringen und damals brauchte ich den kristallenen Diamantdolch dazu.“
„Es ist einfach nicht zu glauben!“ riefen die Soldaten, die Pete begleiteten. „Unser Micha scheint ja ein richtiger Drachentöter zu sein. Kehren wir erst einmal ins Schloss zurück, dort kannst du dich von deinem Kampf erholen mein Junge!“
Man brachte ihm sein Pferd und der 16- jährige stieg stolz lächelnd in den Sattel.
Doch als sie sich nun endgültig auf den Rückweg machen wollten, vernahmen sie hinter sich ein bedrohliches Grollen und Fauchen. Sie fuhren herum und blankes Entsetzen ergriff sie.
Der Todesschatten war wieder zum Leben erwacht und starrte sie, mit seinen orange funkelnden Augen, hasserfüllt an. Es handelte sich bei ihm also tatsächlich um einen Art Untoten- Drachen...!