Manuel tat wie ihm geheissen und ergriff die Hand des Ritters. Dabei durchströmte ihn einen wundervolle Wärme und Geborgenheit.
„Wer… bist du?“ fragte er erneut.
Doch der Ritter lächelte nur wissend: „Wie ich dir bereits sagte. Ich bin ein Freund. Ein Freund aller Lebewesen, aber ganz besonders ein Freund der Menschen.“
„Der Menschen?“
„Ja, denn ich weiss, was die Menschen in ihrem Dasein in der grobstofflichen Welt, manchmal erleiden müssen. Eure Körper und Seelen sind so verletzlich und schon von klein auf, werdet ihr auf die unterschiedlichsten Weisen, positiv aber auch oft sehr negativ, geprägt. Ich weiss es, denn auch ich habe schon mehrmals auf der Erde inkarniert.“
„Tatsächlich?“
„So ist es. Ich kenne deshalb die Menschen sehr gut. Ich habe mich in der irdischen Welt so häufig inkarniert, weil ich ihnen helfen wollte, ihnen ein Leuchtfeuer auf ihrem Wege sein wollte. Und nun bin ich dein Leuchtfeuer, denn du wirst eine wichtige Rolle in der neuen Welt innehaben. Deshalb werde ich alles tun, um dich so gut als möglich zu unterstützen. Freue dich mein Kind, denn schon sehr bald, wird alles Leid ein Ende finden.“
„Ich kann das, ehrlich gesagt, immer noch nicht so recht glauben.“
„Das liegt daran, weil noch immer ein Schleier über deinem Bewusstsein liegt. Dieser Schleier liegt nicht nur über dir, sondern über der ganzen, vergänglichen Schöpfung und es gilt nun, ihn immer mehr zu lüften. Hast du schon mal von der sogenannten Maya gehört?“
„Ja, in den hinduistischen Lehren, spricht man von Maya. Sie soll für die Illusion- die Matrix stehen, in der alle Menschen sich befinden, bis sie schliesslich erkennen, dass sie weder vom Göttlichen noch von den anderen Geschöpfen abgetrennt sind.“
„Genau, das hast du gut zusammengefasst. Allerdings scheint diese Erkenntnis nur in deinem Verstand zu existieren, verinnerlicht hast du sie jedoch noch nicht.“
Manuel senkte nachdenklich seinen Blick und meinte etwas zerknirscht: „Ja, damit hast du wohl recht.“
„Und genau das ist es, was du jetzt wieder lernen musst. Du hast bereits gesehen, wie stark du in einem alten Leben als Ululala mit diesen Einheitsbewusstsein verbunden warst. Damals waren diese Dinge für dich ganz selbstverständlich und somit konntest du die wahre Magie in dir überhaupt erwecken. Das musst du jetzt als Manuel auch wieder tun.“
„Das… ist gar nicht so einfach.“
„Das denkst du. Dabei hättest du bereits alle nötigen Anlagen in dir, um zu einen ganz neuen Bewusstsein zu erwachen. Wenn du das begreifen würdest, dann würdest du auch erkennen, dass deine Eltern eigentlich nie wirklich fort waren. Sie sind nur gerade hinter dem Schleier der Maya verborgen. Hebe den Schleier und du wirst ihrer ansichtig werden.“
„Das klingt ja alles schön und gut, aber wie soll das zugehen?“
„Wenn du dich weiterhin bemühst, dann werden wir ihn vielleicht gemeinsam heben können.“
Auch wenn Manuel das kaum glauben konnte, nickte er zustimmend, denn auf einmal machte sich eine seltsame Aufregung in ihm breit.
Die Szenen an den Wänden waren nun bei dem Zeitpunkt angelangt, als sein altes Ich- Ululala, verstorben war. Es war eine wundervolle, berührende Szene:
Der alte Magier lehnte sich mit einem leichten Seufzer zurück und blickte in den Himmel. Tausende von Sternen schmückten den nachtschwarzen Hintergrund. Je dunkler die Welt unter ihm wurde, umso heller schienen diese Sterne zu funkeln. Er wurde richtiggehend hypnotisiert von ihrem Glanz. Und… auf einmal… begannen die Sterne einen munteren Reigen zu tanzen! Sie bewegten sich hin und her, hin und her und es schwindelte den alten Magier beinahe. Immer mehr rückten die Himmelslichter dann zusammen, kamen immer näher und näher, tanzten und hüpften vor den erstaunten Augen des alten Mannes.
Auf einmal kam es diesem vor, als ob er weit in die Ferne schweifen und hinter der irdischen Wirklichkeit, die Welt des Ewigen erblicken würde.
Die Sterne tanzten immer noch! Sie bildeten Figuren und andere leuchtende Bilder.
Entzücken ergriff Ululala und er fiel in eine tiefe Trance. Die Sterne vereinten sich nun alle zu einem leuchtenden Band und schwebten zu ihm herunter. Mit grossen Augen, in denen sich das magische Sternenlicht nun hundertfach brach, blickte er ihnen entgegen.
Goldenes, warmes Licht umfing ihn und er konnte es kaum fassen.
Die Sterne formierten sich nun neu und aus ihnen bildeten sich zarte Wesen, mit schleierartigen Gewändern und Strahlenkränzen um den Kopf. Ihr Anblick war so voller Schönheit und Anmut, das Ululala kaum den Blick von ihnen wenden konnte. Es waren die Sternenfeen! Endlich waren sie zu ihm gekommen! Sein letzter, grosser Wunsch, war in Erfüllung gegangen!
„Wir wollen dich abholen, grosser Ululala!“ wisperten die Feen ihm nun mit ihren zarten Stimmen zu. „Komm! Es wird Zeit!“
„Wo… bringt ihr mich hin?“ fragte der alte Magier, obwohl er die Antwort bereits glaubte zu wissen.
„In ein Land, fern von Schwere und Einengungen,“ erwiderten die Sternentöchter. „Ein gänzlich neues Leben erwartet dich dort.“
Manuel verfolgte die Szene ganz gefesselt. Sie war wunderschön und brachte eine Saite, tief in dem Jungen zum Klingen.
„Mein Übergang in die Anderswelt, war damals jedenfalls sehr friedvoll,“ sprach er berührt.
Die Aura seines Begleiters leuchtete kurz in allen Farben des Regenbogens auf und er erwiderte: „Das stimmt allerdings. Du hast dich dann noch eine Weile im Reich der Sternenfeen aufgehalten, bis du schliesslich auf Erden, als Manuel wiedergeboren wurdest.
Du warst durch und durch davon überzeugt, dass du damit das Richtige tust, denn dir wurde alles Wissen über deine zukünftigen Aufgaben offenbart und du nahmst die Herausforderung, voller Dankbarkeit und ohne Zögern, an.“
Manuel beobachtete weiterhin die Szenen, seines damaligen Übergangs und meinte nachdenklich: „In mir war damals so eine tiefe Klarheit und Sicherheit. Warum kann ich diese bloss in meinem jetzigen Leben nicht wiederfinden?“
„Du wirst sie wiederfinden, denn das war deine Bestimmung…, von Anfang an. Der Übergang für dich, nach deinen Leben als Ululala war so leicht, weil du um all die Wahrheiten gewusst hast, die das Omniversum zusammenhalten. Für dich gab es keine Trennung mehr zwischen deinem Ich und dem All- Eins. Auch mit dem Göttlichen warst du auf wundersame und tiefe Weise verbunden. Das verschwindet nicht einfach so. Es kann nur verschüttet werden. Doch ich wollte mit dir eigentlich noch eine andere Szene anschauen. Komm weiter!“
Die beiden setzten ihren Weg durch das Labyrinth fort und blieben manchmal bei einer der wichtigeren Szenen stehen. Manuel war tief bewegt, von all den Einblicken, von all der Liebe, die er in seinem jetzigen Leben bereits erfahren hatte. Es gab Unmengen von berührenden Szenen, mit seinen Eltern zusammen, welche deren Verbundenheit mit ihrem Sohn offenbarten. Ja, er war wirklich sehr unbeschwert und glücklich aufgewachsen. Natürlich hatte es ab und zu Streit gegeben und natürlich hatte Manuel nicht immer über das sprechen können, was er mit seinem dritten Auge wahrgenommen hatte. Doch die Liebe seiner Eltern war dennoch bedingungslos gewesen. Vermutlich hätte er ihnen sogar von all den Wundern erzählen können, die er schon seit seiner Geburt wahrnahm, von all der Schönheit, die da im Verborgenen lag.
„Deine Hellsichtigkeit, ist noch ein Überbleibsel deines vergangenen Lebens als Ululala und es ist zugleich ein Lücke, die sich im Schleier der Maya befindet,“ erklärte ihm der weisse Ritter. „Eigentlich könntest du jederzeit durch diese Lücke schlüpfen und würdest all der Wahrheiten ansichtig werden, die da noch auf dich warten.“
„Meinst du wirklich?“
„Würde ich es sonst sagen?“
Der Gedanke, dass es in seinem Bewusstsein so eine Lücke gab, gefiel Manuel und ermutigte ihn dazu, seinen Entwicklungsweg weiter fortzuführen. Vielleicht würde er dann tatsächlich irgendwann diese Lücke durchschreiten können.
Der Ritter sprach eindringlich: „Denke daran! Es liegt alles in deiner Macht! Du kannst dir, während du meditierst, diese Lücke vorstellen, sie visualisieren und dann wirst du es irgendwann schaffen sie zu durchqueren. Du hast alles, was du dazu brauchst…, da drin.“ Mit diesen Worten deutete er auf Manuels Herz.
Schliesslich kamen sie bei einer Szene an, vor der sich der 20- jährige am meisten gefürchtet hatte. Und zwar bei jenem Zeitpunkt, als er seine Eltern verloren hatte. Erstaunlich war dabei, dass der Lebensfilm nun zu den Leben seiner Eltern wechselte, obwohl Manuel diese Ereignisse gar nicht selbst erlebt hatte. Das fand er etwas seltsam.
„Dies hier ist die Szene, die ich mit dir anschauen will,“ meinte sein Begleiter.
„Aber… ich will nicht noch einmal den Tod meiner Eltern durchleben,“ protestierte der Junge. „Ich habe heute schon genug geweint, als der Wasser- Greif und ich diese Situation noch einmal aufgearbeitet haben und jetzt verlangst du sogar von mir, dass ich ihren Tod direkt miterlebe?!“
„Es geht bei dieser Szene nicht vordergründig um den Tod deiner Eltern, sondern darum, wie sie den Übergang ins Jenseits miterlebt haben,“ beschwichtigte ihn der Ritter. „Komm mit, wir werden in diese Szene nun direkt eintauchen.“
„Eintauchen? Ich dachte, das sei nicht mein Weg.“
„Es war nicht dein Weg, in eine Szene aus Ululalas Leben einzutauchen, hier jedoch, ist es vonnöten. Denn das wird dich weiterbringen und vielleicht einige Blockaden und Traumen in dir auflösen.“
Manuel wurde auf einmal von einer schrecklichen Angst und Verzweiflung ergriffen und er begann erneut zu weinen. „Nein, das kann ich nicht! Ich bin…noch nicht bereit dazu.“
„Doch, das bist du! Vertrau mir!“
„Wie soll ich dir vertrauen, wenn du von mir so etwas Unmögliches erwartest!“ Der Junge riss sich von der Hand seines Begleiters los und wich einige Schritte zurück.
Die Szene, die er vor sich sah, waren seine schlafenden Eltern, welche von der plötzlichen Flut, an der englischen Küste, überrascht worden waren. Das alles war so schrecklich und er wollte damit nichts zu tun haben. Darum sprach er trotzig: „Nein! Ich will ihren Todeskampf nicht miterleben!
„Woher weisst du denn, dass sie wirklich solch einen Todeskampf erlitten haben?“
„Na, ist doch klar! Sie wurden bestimmt von den einfliessenden Wassermassen ertränkt und man weiss, das Ertrinken ein sehr unschöner Tod ist. Und auch wenn sie von irgendwelchen Trümmern erschlagen worden wären, hätten sie das bestimmt auch gemerkt!“
„Du steigerst dich da in etwas hinein mein Junge. Deine Eltern hatten einen schnellen und schmerzlosen Tod, glaub mir. Sie haben nicht einmal etwas gespürt und während und nach ihrem Übergang, waren bereits viele, lichtvolle Helfer an ihrer Seite. Nun komm! Es ist an der Zeit, dass du dich deinen tiefsten Ängsten stellst. Du kannst mir vertrauen!“
Erneut streckte der Ritter, dem Jungen, verständnisvoll lächelnd, die Hand entgegen und… nach einigem Zögern, ergriff Manuel diese wieder. Zusammen tauchten sie nun in die Szene ein und kurz darauf fand sich der Junge, im Geiste seiner Mutter wieder…