Diese war in einen fahlgrauen Mantel gehüllt. Ihr Gesicht wurde fast gänzlich von der Kapuze des Mantels verdeckt. Doch aus der Finsternis dahinter, blickten ihm zwei durchdringende, rötliche Augen entgegen!
Zyklopus lief es eiskalt den Rücken herunter, doch er versuchte sich zu beherrschen und fragte möglichst ehrerbietig: „Bist… du der grosse Gott Xandrax?“
„Natürlich ist er es!“ sprach nun der Priester und seine Stimme klang wie schneidendes Eis. „Zeig gefälligst die nötige Ehrfurcht und kniee vor unserem Herrn!“ Mit diesen Worten warf er sich vor dem Fahlgewandeten nieder. „Oh mächtiger Gott und Meister!“ sprach er. „Ich bringe dir hier einen neuen, vielversprechenden Jünger, der vor kurzem zu uns gestossen ist. Sein Name ist Zyklopus.“
Der Blick des Mannes auf dem Thron wurde nun noch durchdringender und Zyklopus beschlich das ungute Gefühl, dass er ihn durchschaute. Schliesslich sprach der Fahlgewandete mit seiner unheimlichen Stimme an ihn gewandt: „Warum kniest du noch immer nicht vor mir?!“
In diesem Augenblick traf den guten Riesen eine gewaltige Energiewelle, die ihn zu Boden schleuderte und einen Moment lang atemlos machte.
Der Priester wirkte ehrlich entsetzt. „Aber… mein Herr, findest du denn keinen Gefallen an deinem neuen Jünger?“
„Du Narr!“ brüllte der Fahlgewandete. „Dieser neue Jünger ist ein Verräter, ein Ungläubiger! Wie konntest du das bloss nicht erkennen? Schon als er hier hereinkam, habe ich es gesehen!“
Das Blut in Zyklopus Adern erstarrte zu Eis. Doch verbissen rappelte er sich wieder hoch.
„Er hätte nie das Knie vor mir gebeugt!“ donnerte der fahle Ritter.
„Aber… er war immer so eifrig während der Messen! Mir erschien sein Glaube aufrichtig.“
„Versager!“ Eine weitere Energiewelle traf nun den Priester und dieser wurde davon ein Stück nach hinten geschleudert. Ächzend und mit schreckgeweiteten Augen, blieb er einen Moment lang liegen. Wieder richteten sich nun die boshaften Augen des Fahlgewandeten, auf Zyklopus. „Ich habe dich schon länger beobachtet. Durch die Augen meines mächtigen Standbildes im Tempel, habe ich alles gesehen. All deine Emotionen, all deinen Unglauben, deine ketzerischen Gedanken, die du so krampfhaft versucht hast zu verbergen. Aber vor mir kannst du nichts so einfach verbergen. Ich bin ein… Gott!“
Auf einmal ergriff Zorn den guten Riesen und er stiess hervor: „Oh nein, du bist kein Gott! Du bist nicht mal gottähnlich!“
Der Xandrax Priester, der sich nun wieder aufgerappelt hatte, keuchte auf, ob dieser schändliche Dreistigkeit. „Wie kannst du es wagen!“ kreischte er. „Schweig still!“ brüllte der Fahlgewandete. „Du hast… hier nichts mehr zu sagen. Geh mir aus den Augen!“
„Aber… mein Herr!“ sprach der Priester nun richtiggehend verzweifelt „du darfst mich nicht verstossen. Ich habe dir doch schon so viele Jünger gebracht.“
„Ja, doch den einzigen Verräter hast du nicht erkannt. Es wird Zeit, dass ich jemand zu deinem Nachfolger erwähle. Verschwinde jetzt, bevor ich dich vernichte!“
„Aber… aber…“ wollte der Prediger noch einmal einwenden, doch dann erkannte er, dass es wohl besser war zu schweigen, denn der Blick, der ihn aus den funkelnden Augen, seines stets so verehrten Gottes traf, war so vernichtend, dass er es mit der Angst zu tun bekam. So zog er sich mit einer Reihe von Verbeugungen unterwürfig zurück.
Als Zyklopus mit dem Fahlgewandeten allein zurückgeblieben war, glaubte der Riese, ihm müsse sein Herz sogleich aus der Brust springen, so heftig klopfte es.
Xandrax oder wie er auch sonst heissen mochte, erhob sich nun und ging bedrohlich ein paar Schritte auf ihn zu. Er war wirklich riesenhaft, fast wie ein Titane und Zyklopus erinnerte sich, mit Schrecken, an seine Zeit auf der Titanen- Insel zurück.
„Angst umgibt dich, wie ein fauliger Hauch!“ sprach der Fahlgewandete. „Wie nur konntest du glauben, dass ich dir nicht auf die Schliche komme?!“ Seine dröhnende Stimme widerhallte mehrfach an den Wänden des riesigen, unterirdischen Gewölbes.
Zyklopus blickte zu der unheimlichen Kreatur empor und versuchte, mit aller Macht, sein Zittern zu unterdrücken. Er machte sich jede Sekunde auf einen tödlichen Streich bereit. Doch noch geschah nichts, die rötlichen Augen des Möchtegern- Gottes nagelten ihn jedoch richtiggehend an der Stelle fest.
„Wenn du mich schon so lange durchschaut hast, warum hast du mich dann nicht schon früher vernichtet?“ fragte er, um seine Furcht etwas zu überspielen.
„Weil ich zuerst ganz sicher sein wollte. Auch wollte ich herausfinden, wer dich geschickt hat. Für wen spionierst du hier in meinem Tempel nun also?“ Zyklopus horchte auf und spürte einen Anflug von Erleichterung. Dieser Fahlgewandete wusste also noch nicht, dass ihn Pia, Benjamin und Malek geschickt hatten. Das war doch schon mal gut. So überlegte er nicht lange und erwiderte: „Ich wollte wissen, warum die Riesen auf einmal wieder gegen die einheimischen Zwerge ins Feld ziehen. Ich fand das… nicht richtig. Darum habe ich mich in deine… Gemeinschaft eingeschlichen.“
„Soso du findest es also nicht richtig, dass die Riesen ihr Recht einfordern? Du bist ja noch schlimmer als ich dachte! Ein Riese, der sein eigenes Volk so schändlich verrät!“ Auf einmal flackerte erneut Zorn in Zyklopus auf. „Tu doch nicht so scheinheilig! Du bist der wahre Verbrecher hier. Gib doch zu, dass dir kein einziges, lebendes Wesen, wirklich etwas bedeutet! Du trachtest nur nach Chaos, Tod und Zerstörung! Du bist doch einer dieser verderbten Ritter, die schon seit einer Weile ihr Unwesen in den Welten treiben. Oh ja, ich habe schon viel von euch und euren Taten vernommen. Xandrax der Riesengott! Der Schöpfergott! Dass ich nicht lache! Mach mit mir was du willst, aber ich werde niemals freiwillig vor dir das Knie beugen. Töte mich doch! Dann haben wir es endlich hinter uns! Aber glaube mir, dass du früher oder später, für all deine schrecklichen Schandtaten, zur Rechenschaft gezogen wirst! Dafür wird das wahre, göttliche Liebeslicht sorgen!“
„Ach ja!“ brüllte der Fahlgewandete nun und schlug seine Kapuze zurück, während er sich dem Riesen weiter, diesmal mit schnellen, donnernden Schritten, näherte. Zyklopus keuchte auf, als er die schreckliche, entstellte Fratze darunter erblickte. Deren Augen, welche nun richtiggehend Funken sprühten, lagen in tiefen, dunklen Höhlen, wie bei einem Totenschädel. Auf dem Kopf trug der Fahlgewandete ausserdem einen einfachen Helm aus mattem Metall. Haare sah man keine. Das Haupt des finsteren Meisters schien kahl und vernarbt zu sein, wie der Rest seines Antlitzes. „Du hast es zu weit getrieben Zyklopus! Nun wirst du sterben!“
Instinktiv duckte sich der Riese, als der vermeintliche Xandrax seine Finger auf ihn richtete und damit mehrere Funken, zu einer flammenden Kugel zusammenballte.
„Es ist zu spät,“ ging es dem guten Riesen durch den Kopf. „Nun hat wohl mein letztes Stündlein geschlagen. Oh grosser, gütiger Gottesgeist, sei meiner Seele gnädig!“
Doch… es geschah nichts!
Dafür erzitterten in diesem Augenblick die Grundfesten des Tempels, unter einem gewaltigen Schlag!
Der Riese taumelte und auch der vermeintliche Xandrax verlor einem Augenblick lang das Gleichgewicht. Sein Zauber verblasste…