„Davon weiss ich ja noch gar nichts!“ sprach Sebius etwas enttäuscht.
„Ich dachte, dass der Greif sowieso bald wieder verschwindet. Darum hielt ich es bisher nicht für nötig, davon zu sprechen.“
„Aber von so einem besonderen Geschöpf, möchte ich doch gerne erfahren! Müssen wir nicht um unser restliches Vieh fürchten, wenn er hier sein Unwesen treibt?“
„Nein, Greife stehlen kein Vieh. Wenn, dann jagen sie Wildtiere. Niemals Nutztiere oder Humanoiden. Ausser letztere provozieren sie zu sehr, doch dann töten sie diese einfach, fressen werden sie sie eher weniger.“
„Na, dann sollten wir zusehen, dass wir ihn nicht provozieren,“ murmelte Sturmius.
Sebius wandte sich nun erneut an die Turners: „Ihr sucht also so ein Wesen und seid eigentlich deshalb hierher zurückgekommen?“
„Ja. Wir brauchen die Hilfe eines Greifs.“ Die Geschwister erzählten nun alles, was sich zugetragen hatte. Nur dass die Ritter ihnen das Medaillon gestohlen hatten, verschwiegen sie vorsichtshalber, denn sie wollten keine unnötige Panik bei den Kleinwüchsigen auslösen.
Die Zwerge hörten ihnen mit wachsender Sorge zu. „Diese Ritter… von denen ihr da sprecht,“ sagte Sturmius „sie scheinen ja wahrhaft üble Gesellen zu sein.“
„Allerdings! Es könnte sogar gut sein, dass sie irgendetwas mit dem seltsamen Verhalten der Riesen zu tun haben. Sie lieben es, überall Konflikte und Not zu schüren.“
„Das klingt ziemlich besorgniserregend.“
„Das ist es, aber wir haben diesen Scheusalen schon mehrmals die Suppe versalzen. Warum sollte uns das hier nicht auch gelingen.“
Sebius sprach mit einem warmen Lächeln: „Ach, es tut so gut, euch wieder hier zu haben! Auch wenn ihr eigentlich wegen dem Greif gekommen seid. Ihr gebt uns immer wieder neue Hoffnung. Wie schon das letzte Mal als ihr bei uns wart.“
„Sind eigentlich Zyklopus und seine Frau ebenfalls ins Zwergen- Reich zurückgekehrt?“
„Nein bisher zum Glück nicht. Aber dennoch nimmt die Zahl der Riesen stetig zu…“ Appolonius mischte sich wieder ins Gespräch: „Die meisten von ihnen, hängen übrigens so einem seltsamen Kult an.
Das haben mir die Priester der anderen Dörfer berichtet. Wir treffen uns ja jeden dritten Vollmond in einem heiligen Hain, im Gebirge. Es war von Riesen die Rede, die sogar extra hierher pilgern, um in den Bergen irgendeine Kultstätte zu besuchen. Sie liegt in einem Krater, nicht sehr weit von hier. Irgendein Komet muss dort eingeschlagen haben. Wir nennen den Ort Pesttal. Kein Zwerg wagt sich dorthin. Die Riesen jedoch, reisen in Scharen an. Ich hörte, sie haben mittlerweile, auf dem Grund des Kraters, sogar einen Tempel errichtet. Ich habe aber keine Ahnung, wer oder was, sie dort so verehren. Die Erdmutter wohl eher nicht.“
„Sebius hat uns schon einmal von der Erdmutter erzählt,“ sprach Pia „Geht ihr nicht auch regelmässig zu ihrem heiligen Geburtshügel, woraus jeweils eure Kinder geboren werden?“
„Ja, das ist richtig.“
„Und es gibt, nach wie vor, keine weiblichen Zwerge?“
„Bisher nicht, nein. Dafür gibt es, laut unseren Legenden, einen tragischen Grund,“ erwiderte Appolonius ernst.
„Einst, vor vielen Äonen, wurde der erste männliche Zwerg, durch die Hand der grossen Göttin Terra, aus dem Lehm der Erde erschaffen. Der Grosse Geist, hauchte diesem schliesslich seinen Lebensfunken ein, wie er es bei allen Lebewesen tut.
Der männliche Zwerg lebte noch eine ganze Weile allein, doch dann wollte der grosse Himmelsgeist, ihm eine Gefährtin schenken.
Zusammen mit Terra, arbeitete er den genauen Plan einer weiblichen Zwergin aus. Er und Terra, steckten sehr viel Liebe in ihre gemeinsame Schöpfung und schliesslich wurde die erste Zwergin geboren!
Anstatt sich jedoch über die neue Gesellschaft zu freuen, murrte der Erstgeborene, denn er war sehr eigenbrötlerisch und konnte nicht wirklich etwas, mit dieser neuen, ihm in manchem überlegenen, Schöpfung anfangen.
Die Zwergin, war darüber sehr betrübt, denn sie war davon überzeugt, dass ihrer beider Dasein, einen ganz besonderen Zweck erfüllen sollten.
Doch der Zwergen- Mann wollte davon nichts wissen. Einmal, als die Zwergen- Frau sich ihm erneut annähern wollte, stiess er sie grob von sich. Sie stürzte daraufhin sehr unglücklich und verstarb kurz darauf. Ihr Blut tränkte die Erde. Terra und der Grosse Geist waren entsetzt und beschlossen, niemals wieder eine weibliche Zwergin zu erschaffen, bis die männlichen Zwerge, die weiblichen Qualitäten, mehr zu schätzen lernten.
Die verstorbene, erste Zwergin jedoch, wurde nach ihrem Tod Eins mit der Erde und der Ewige machte sie zur Erdmutter, die wir nun schon so lange als unser aller Mutter und Herrin verehren.“ Die einzige Zwergin, die es also je gegeben hat, ist am Ende doch zu unserer aller Mutter geworden.
Doch wir müssen unser Dasein nun ohne weibliche Gegenstücke fristen, nur weil unser Vorfahre die Weiblichkeit nicht zu schätzen gewusst hat. Trotz der vielen Jahrhunderte, die seither ins Land gegangen sind, fühlen wir uns deshalb immer noch irgendwie unvollständig. Doch wir mussten lernen damit umzugehen, so schwer es manchen von uns auch oft fiel…“
„Irgendwann,“ sprach Sebius „wird dieser Fluch hoffentlich enden und die Erdmutter wird uns eine weitere Zwergin gebären. Wann das sein wird… ich weiss es nicht. Wenn das aber geschieht, werden wir endlich mit demselben Glück gesegnet sein, wie es alle anderen Geschöpfe, seit jeher, ihr Eigen nennen dürfen.“
„Das ist wirklich eine sehr tragische Geschichte,“ meinte Pia mitfühlend. „Eigentlich solltet ihr nicht noch weiter deswegen bestraft werden. Ihr habt ja mittlerweile gelernt, die weiblichen Qualitäten zu schätzen.“ „Vielleicht reicht unsere Hingabe noch immer nicht ganz aus,“ erwiderte Appolonius. „Schliesslich kann nur der Grosse Himmelsgeist entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für uns ist, eine Zwergin in unseren Reihen willkommen zu heissen. Im Augenblick haben wir ja sowieso mit vielen anderen Widrigkeiten zu kämpfen. Vermutlich ist es sogar besser so. Bald werden wir ja wieder zum Geburtshügel pilgern, sofern uns die Riesen nicht davon abhalten.“
„Wir werden uns die Sache mit diesem seltsamen Tempel, den die Riesen errichtet haben, auf jeden Fall einmal anschauen und versuchen herauszufinden, was es mit alledem auf sich hat. Dann sehen wir, was wir tun können, um euch zu helfen. Nebenbei können wir gleich noch etwas nach dem Greifen Ausschau halten.“