Wie vermutet, mochte Silberstern Benjamin auf Anhieb. Der schneeweisse Hengst beschnupperte dessen Hände, stupste ihn mit seinen samtweichen Nüstern an und schnaubte dabei freundlich. Seine Ohren waren neugierig nach vorne gerichtet. Er war wirklich ein Prachtstier. Sein Fell leuchtete wie reinster Berg- Schnee und der graue Sternen- Fleck auf seiner Stirn, schien manchmal, je nach Lichteinfall, magisch zu glänzen, als ob er wirklich aus Silber bestehen würde. Er besass wunderschöne, grosse, dunkle Augen, die mit langen, schwarzen Wimpern überschattet wurden. Die Augen schienen, ebenfalls je nach Lichteinfall, manchmal blau aufzuleuchten.
Benjamin und Sara betraten die Box und die junge Frau schlang liebevoll ihre Arme um den elegant geschwungenen Hals des Schimmels.
„Ich liebe ihn!“ schwärmte sie und gab Silberstern einen Brocken Brot. „Er ist wirklich mein bester Freund!“
Bei diesen Worten legte sich beinahe unmerklich ein enttäuschter Schatten über Benjamins Gesicht. Die Frau merkte das und meinte schnell: „Und jetzt… bist auch du mein Freund, Benjamin!“ Der Mann wusste nicht so recht, ob ihm das nun wirklich reichte oder nicht. Doch er lächelte und tätschelte seinerseits liebevoll den muskulösen Hals des Hengstes. Das Tier schaute ihn mit einem tiefgründigen Blick an und es wirkte tatsächlich so, als würde er Ben tief in dessen Seele blicken.
Eine Weile blieben sie noch bei Silberstern, dann meinte Sara: „Ich glaube, jetzt müssen wir wirklich langsam zurück! Morgen habe ich übrigens einen freien Tag. Dann werde ich wieder mal einen Ausritt mit Silberstern machen. Willst du nicht auch mitkommen?“
Benjamin erwiderte etwas bekümmert: „Nein, leider nicht. Ich und die andern müssen Morgen schon wieder aufbrechen. Es steht gerade sehr viel auf dem Spiel und wir bekamen einen Anhaltspunkt, der uns möglicherweise weiterhilft…“
„Und dieser Anhaltspunkt befindet sich im Reich der Trolle, hab ich recht?“ fragte das Mädchen.
Benjamin blickte die Frau erstaunt an. Du hast recht, woher weisst du das denn?“
„Ich… äh habe es zufällig mitbekommen, als ich am Staubwischen war. Ihr habt es damals der Königfamilie erzählt. Wie gerne würde ich mit euch kommen, um das Reich der Trolle auch mal kennenzulernen. Meine Tante hat mir so viel darüber erzählt. Es muss sehr schön dort sein.“
„Ja, wenn auch nicht ganz ungefährlich,“ antwortete Ben bei. „Denn es gibt auch einige aggressive Trolle dort.“
„Ja, ich weiss, meine Tante hat mir auch davon berichtet.“
„Sei nicht traurig weil du nicht mitkommen kannst. Wir kehren so schnell als möglich hierher zurück. Im Juwelenreich bist du auf jeden Fall sicherer.“
„Du musst mir dann aber alles erzählen!“ bat Sara, während sich die beiden wieder auf den Weg zurück ins Schloss machten.
„Klar, wenn du das gerne möchtest.“
„Auf jeden Fall! Ich finde, ihr erlebt immer so viele spannende Dinge!“ „Manchmal ist es beinahe zu aufregend,“ entgegnete Benjamin. „Oft wünsche ich mir einfach ein ganz normales Leben, so wie du es führst.“
„Ach was!“ wehrte Sara ab. „Mein Leben ist sterbenslangweilig.“
„Bist du denn so unglücklich?“ fragte der Mann besorgt.
„Das kann man so auch nicht direkt sagen. Denn eigentlich arbeite ich gerne hier. Nur… ab und zu habe ich das Gefühl, das Leben müsste noch etwas mehr bieten. Ich möchte irgendwann noch mehr von der Welt sehen, möchte noch so viele verrückte Dinge tun. Manchmal habe ich das Gefühl, jeder meiner Tage hier, ist nur eine Kopie des anderen. Immer derselbe eintönige Ablauf, immer da Gleiche, Tagein, tagaus.“
„Aber du bist ja noch jung,“ widersprach Ben. „Nun ja, ich bin auch schon 28,“ meinte Sara.
„Ach, das ist wahrlich noch jung genug. Du hast noch eine Menge Möglichkeiten, die Welt zu entdecken. Dazu brauchst du nur etwas Mut und die Entschlossenheit, deine Träume zu verwirklichen.“
„Mein grösster Traum wäre es, so zu sein wie ihr,“ murmelte die Frau.
„Ach weisst du, das ist auch nicht immer so toll. Wie gesagt, etwas mehr Ruhe in meinem Leben, würde ich sehr begrüssen. Doch es ist nun mal so, dass ich den Auftrag erhalten habe, die Geschöpfe des Omniversum, zusammen mit Pia, ins neue Zeitalter zu führen.“
„Wenigstens werdet ihr in der Welt gebraucht,“ sprach Sara und wieder spürte sie dabei, wie ruhelos und gelangweilt sie eigentlich war.
„Du doch auch. Jeder wird gebraucht. Jeder hat seine ganz eigenen Qualitäten, die wichtig für das grosse Ganze sind.“
„Ach, ich weiss nicht so recht. Die Qualitäten mancher, sind wohl einfach wertvollen, als die einiger anderen.“
Es stimmte Benjamin traurig, das Sara sich selbst noch immer so geringschätzte, dabei war sie doch etwas so Besonderes. Er hatte das vom ersten Moment an, als er sie getroffen hatte, deutlich gespürt.
Doch… konnte er ihr die Gefühle, die ihn bewegten, wirklich schon auf so direkte Weise offenbaren? Eigentlich war es für ihn als grosser Führer nicht sonderlich klug, sich näher mit einer Frau einzulassen. Man wusste ja nie, was noch alles bevorstand und wie herausfordernd die bevorstehenden Umwälzungen in den Welten noch werden würden. Darum war es vielleicht besser, sich noch nicht zu eng an jemanden zu binden. Darum unterliess Ben es, Sara noch weiter den Hof zu machen.
Sie hatten nun auch die Pforte, die zurück ins Schloss führte, erreicht. Viele Lichter waren bereits gelöscht worden und es waren nur noch wenig Leute unterwegs.
Als sie zurück in die Küche kamen, war der Koch Humbold gerade daran, diese abzuschliessen um sich ebenfalls aufs Ohr zu legen.
„Ohjeh, waren wir so lange weg?“ rief Sara erschrocken und stammelte eine Entschuldigung.
„Hej, Humbold!“ sprach Benjamin heiter und klopfte dem Koch auf die Schulter. „Tut mir leid, es dauerte etwas länger als gedacht.“
Der Angesprochene musterte das Zweiergespann etwas prüfend, dann jedoch breitete sich ein Grinsen über seinem Gesicht aus. „Ist schon okay. Wir sind gut fertig geworden.“
Er wandte sich an Benjamin und klopfte ihm seinerseits auf die Schulter. „Ich hörte, ihr reist morgen schon wieder ab?“
„Ja, leider drängt die Zeit.“
„Tja, die Grossen Führer haben wohl nie so wirklich Pause. Dabei wollte ich euch morgen Abend ein besonders fürstliches Mahl servieren.“
„Oh, das tut mir leid. Vielleicht können wir das Mahl bei unserer Rückkehr ja noch nachholen.“
„Sofern ihr so schnell wieder zurück seid,“ gab der Koch zu bedenken.
„So lange wird das jetzt wohl nicht dauern,“ erwiderte Ben enthusiastisch. „Naja, hoffen wir mal das Beste,“ gab der Koch zurück.
Schliesslich verabschiedeten sich die jüngeren Leute von ihm und machten sich wieder auf den Weg.
Im Flur, der zu Saras Gemächern führte, wünschten sich diese und Benjamin, wenn auch mit etwas Wehmut in ihren Herzen, gegenseitig eine gute Nacht und zogen dann wieder ihrer Wege.