Der Pfad, dem sie nun wieder folgten, führte stets aufwärts und schliesslich hatten sie schon eine gewisse Höhe erreicht. Die Sicht wurde nun tatsächlich ein wenig besser. Sie gingen jetzt über ein schwarzes Geröllfeld und hier wuchsen überall seltsame, schleimige Pflanzen, die sich tentakelartig über die ganze Ebene ausbreiteten.
„Was sind das wohl für Pflanzen?“ fragte Pia.
„Keine Ahnung. Sie haben mit nichts eine Ähnlichkeit, das ich kenne. Wir sollten sie möglichst nicht berühren.“
„Sie scheinen alle aus derselben Richtung zu kommen…“ Pia liess ihren Blick suchend über die finstere Ebene gleiten. „Ihr Ursprung muss da hinten sein, wo alles in diese dichte, schwarzen Wolken gehüllt ist. Es ist gut möglich, dass sich dort der schwarze Obelisk befindet.“
„Vermutlich hast du recht. Der Weg führt auch in jene Richtung. Achte beim Gehen, gut auf die Pflanzen!“
Vorsichtig, ganz vorsichtig, bewegten sie sich vorwärts und gaben sich Mühe, nicht auf das schleimige Geflecht, zu ihren Füssen, zu treten. Da dieses jedoch immer dichter wurde, fiel ihnen das zusehends schwerer. „Wenn wir nur Solarias Licht nutzen könnten,“ sprach Pia bedauernd. „Unter ihrem Einfluss, würden sich diese schrecklichen Gebilde bestimmt sogleich auflösen. Leider können wir das Leben der kleinen Sonnenfee nicht noch einmal riskieren.“
„Vielleicht können wir aber ja die Fackel benutzen, um uns eine Bresche zu schlagen?“ schlug Benjamin vor. „Sie brennt noch.“
„Okay, ein Versuch wäre es wert. Früher oder später können wir diesen schleimigen Dingern sowieso nicht mehr wirklich ausweichen.“ Der Mann nickte und senkte die Fackel. Er berührte damit nun einen der fleischigen Pflanzententakel. Dieser begann sogleich wild hin und her zu schlenkern, als das Feuer ihn berührte. Er erhob sich unerwartet vom Boden und wickelte sich um Bens Bein. Dieser schrie und drückte die Fackel fest dagegen. Der Tentakel drohte ihn von den Füssen zu reissen.
Pia hechtete nach vorne und hielt ihren Bruder fest. Dabei schlug sie wild mit dem Schwert auf den Tentakel ein. Dieser war schrecklich zäh. Doch schliesslich schafften die Geschwister es, mit vereinten Kräften, ihn entzweizuschneiden. Grünlichrotes Blut, quoll aus dem zerschnittenen Tentakel hervor und er erschlaffte. Doch nun geriet auf einmal, alles um sie herum, in Bewegung! Auch die anderen kleineren und grösseren Tentakel, die scheinbar tatsächlich alle irgendwie miteinander verbunden waren, begannen sich nun ebenfalls wild zu bewegen und zwei der Grösseren packten Pia und Benjamin erneut und rissen diese, ehe sie sich versahen, von den Füssen. Die beiden schrien auf und schlugen weiter mit Fackel und Schwert auf die Tentakel ein. Doch es nützte nichts. Sie versuchten sich verzweifelt irgendwo festzuhalten, doch sie wurden gnadenlos weiter hinauf in die Luft gerissen. „Sie ziehen uns in die Richtung, aus der sie zu kommen scheinen. Als wären sie alle Teil von einem einzigen Organismus, der sich dort hinter der schwarzen Wolkenwand befindet!“ schrie Benjamin seiner Schwester zu, während er weiter auf die Tentakel einschlug. Diese liessen sich davon jedoch kaum beeindrucken und kurz darauf wurden die Geschwister von den dichten, schwarzen Wolken eingehüllt, die sie vorher aus der Ferner erblickt hatten. Wie Blei schien sich diese Schwärze nun um sie herum zu legen und hier, schienen die dämonischen Kräfte wieder besonders stark zu sein.
Und dann… auf einmal, tauchte vor ihnen ein tiefer Abgrund auf!
„Festhalten!“ schrie Ben von Panik ergriffen, während sie von den Tentakeln hinab in die Finsternis gezogen wurden. Die Geschwister sahen eine steile, zerklüftete Felswand, die in rasender Geschwindigkeit an ihnen vorbeizog und versuchten nun an dieser Halt zu finden. Endlich gelang es ihnen, sich an einem Felsvorsprung festzuklammern und erneut begannen sie mit aller Kraft, auf die Tentakel einzuschlagen, die sie noch immer festhielten. Endlich, endlich, konnten sie sich davon befreien!
Atemlos halfen sie einander dann dabei, sich hinauf auf ein Felsplateau zu ziehen und liessen sich, zu Tode erschöpft, auf dessen schartigen Untergrund fallen.
„Verdammt!“ sprach Benjamin. „Das war knapp. Wenn wir uns nicht hätten befreien können, wären wir entweder zu Tode gestürzt oder von diesem gefährlichen Pflanzenorganismus aufgefressen worden.“
„Ja, du hast recht. Das war wirklich gefährlich. Gottseidank konnten wir uns noch rechtzeitig an der Steilwand festklammern.“
Die Frau erhob sich nun und blickte sich um. Benjamin tat es ihr nach. Sie versuchten etwas zu erkennen, doch die Sicht war noch immer sehr eingeschränkt. Sie sahen weder das, was unter, noch das was über ihnen lag.
„Was sollen wir jetzt machen?“ fragte Pia. „Sollen wir den Abstieg wagen oder lieber wieder nach oben klettern?“
„Mmh…“ Benjamin überlegte. Dann meinte er: „Ich denke, wenn wir den Obelisken finden wollen, müssen wir vermutlich weiter hinabsteigen. Jedenfalls sagt mir das mein Gefühl.“
„Mein Gefühl sagt mir das Gleiche. Obwohl da auch eine Stimme ist, die mich ausdrücklich vor dem da… unten warnt.“
„Leichter wird es auf jeden Fall nicht, je näher wir diesem verfluchten Obelisken kommen. Ich vermute, dass auch diese schrecklichen Pflanzen, durch die Bosheit des ihm innewohnenden Geistes, entstanden sind. Wenn diese Tentakel, denn überhaupt pflanzlichen Ursprungs sind.“
„Du denkst, es könnte sich auch um ein intelligenteres Wesen, als… eine Pflanze handeln.“
„Das wäre möglich. Doch um das herauszufinden, müssen wir unsere Reise wohl fortsetzen. Das heisst…, hinabklettern und hoffen, dass wir irgendwann wieder auf festem Boden ankommen. Zuerst machen wir jedoch eine Pause und essen und trinken etwas Kleines, um uns zu stärken.“ Damit war Pia einverstanden. Sie holten einen Teil des Proviants aus ihren Rucksäcken und begannen zu essen.