„Aber warum gerade ich?“ fragte Sebius ungläubig. „Weil du seit langem dafür ausersehen bist,“ erwiderte die Erdmutter und lächelte liebevoll. „Ausserdem mag ich dich besonders gern.“ „Du magst mich gern?“ echote der Seher und in seinem Bauch schienen auf einmal hunderte von Faltern zu tanzen. „Aber eigentlich bin ich doch schon etwas zu alt. Wäre es nicht besser gewesen, wenn sich ein jüngerer Zwerg um dieses kleine Geschöpf gekümmert hätte?“
Sebius warf einen liebevollen, jedoch auch nachdenklichen Blick auf das süsse Zwergenbaby in seinem Arm.
„Nein, du hast dazu die nötige Erfahrung und wirst deshalb ein grossartiger Vater sein. Ausserdem bin auch ich schon ziemlich alt. Also mach dir keine Gedanken darüber! Vermutlich werden sich sowieso alle in deinem Dorf darum reissen, sich ebenfalls um die Kleine kümmern zu dürfen. Schliesslich ist sie etwas ganz Besonderes.“
„Das kann man wohl sagen…“ Sebius streichelte sanft das samtene Köpfchen des kleinen Mädchens und flüsterte: „Etwas ganz… Besonders! Ich… kann es noch immer nicht recht glauben! Nur schade, dass sie ohne Mutter aufwachsen muss.“
Die Erdmutter beugte sich zu dem Seher herunter und streichelte sanft und tröstend seine Wange. „Ich werde immer bei euch sein. Aber natürlich habe ich auch sonst noch viele andere Verpflichtungen. Kinder wachsen jedoch schnell und irgendwann wird unser Töchterchen einen Zwerg aus eurem oder vielleicht einem anderen Stamm, als ihren Gemahl erwählen und die Einsamkeit der Zwerge dadurch für immer beenden. So freue dich! Ein neues Zeitalter beginnt!“
„Aber warum gerade jetzt, da so viel Unheil die Welten heimsucht?“ „Gerade darum, ist es so wichtig, dass dien Volk neue Hoffnung findet. Lasst euch nicht von den neuesten Vorkommnissen entmutigen. Ihr werdet auch diesmal einen Weg finden.“ „Aber…, wenn die Riesen uns angreifen, dann… haben wir keine Chance. Darum wollten wir ja eigentlich auch den Greif, der sich zurzeit in dieser Gegend aufhält um Hilfe bitten. Weisst du vielleicht, wo er sich gerade aufhält.“
Die Hüterin der Erde nickte: „Ja, er hat seine Heimstatt hier ganz in der Nähe. Folgt nur weiter diesem Weg, dann werdet ihr ihn bald finden! Es handelt sich bei ihm um den Erdengreif. Ich habe schon mal mit ihm gesprochen. Bestimmt wird er euch gegen diesen verderblichen Riesen- Kult, der sich hier zurzeit breitmacht, helfen. Verliert nur niemals eure Hoffnung! Es kommt immer dann Hilfe, wenn ihr sie am meisten benötigt. So lebt denn alle wohl, ihr grossen Helden und viel Glück!“ Mit diesen Worten verschmolz die edle Dame erneut mit dem Erdhügel und die Freunde blieben allein und tief bewegt zurück.
Die Geschwister und Malek versammelten sich nun alle um Sebius und blickten verzückt auf das kleine Geschöpf in seinen Armen herunter. „Unglaublich!“ sprach Pia. „Du hältst hier die erste weibliche Zwergin seit Äonen, in deinen Armen! Ich das nicht wundervoll!?“ Sie ergriff das winzige Händchen des Babys. „Die Kleine ist einfach so süüss!“ schwärmte sie „und wie sie sich schon lebhaft umsieht.“
„Ja das stimmt!“ sprach nun auch Benjamin und klopfte dem Zwerg auf die stämmige Schulter. „Gratuliere dir zur Vaterschaft Sebius!“
„Danke,“ erwiderte der Angesprochene „wer hätte gedacht, dass ich in meinem, doch recht hohen Alter, noch Vater einer kleinen Zwergin werde.“ „Du bist doch sicher noch nicht so alt!“ rief Pia. „Jedenfalls siehst du noch immer sehr jung aus.“ „Ach was! Ich bin immerhin schon 160 Jahre alt.“ „Das ist doch das beste Alter für einen Zwerg,“ sprach Malek. „Du lebst bestimmt nochmal so lange. (nach offiziellen Zwergen Kennern, können Zwerge bis ca. 300 Jahre alt werden😉) Also mach dir keine Sorgen!“ „Ich weiss nicht, ob ich so alt werde, in diesen gefahrvollen Zeiten ist man sich da nie so wirklich sicher.“
„Ach was! Wir müssen etwas optimistisch sein!“ rief Pia. „Die Erdmutter wäre diesen Bund bestimmt nicht mit dir eingegangen, wenn sie nicht denken würde, dass du lange genug lebst, um dich um euer Töchterchen zu kümmern. Wie willst du den kleinen Goldschatz nun eigentlich nennen?“ Der Zwerg überlegte eine Weile angestrengt, dann meinte er: „Ich glaube, ich nenne sie Lumnije, das bedeutet Licht der Freude, das passt zu ihr.“ „Ja, das klingt wirklich schön,“ sprach Pia.
Sebius blickte erneut auf das süsse Mädchen in seinen Armen und wiederholte mehrmals leise seinen Namen: „Lumnije, ach Lumnije! Mein geliebtes Töchterchen! Ich werde dir alles geben, meine Liebe, mein Leben alles!“ Tränen der Freude stiegen ihm auf einmal in die Augen und tropften auf das seidige Köpfchen des Zwergenmädchens, welches daraufhin leicht die Stirn runzelte und ein leises, unwilliges Grunzen von sich gab. Liebevoll und etwas unbeholfen, wischte Sebius der Kleinen seine Tränen ab und fuhr fort: „Ich hätte nie gedacht, dass ich noch erlebe, wie die alten Prophezeiungen, aus unseren Schriften, sich tatsächlich erfüllen. Und nun, wurde ich sogar zum Vater dieses ungewöhnlichen Geschöpfs auserwählt.“
„Es sieht ganz so aus, als ob die Zwerge gelernt hätten, das Weibliche genug zu würdigen,“ meinte Malek. „Hiess es nicht in den Schriften, dass erst wenn das geschehen ist, wieder eine weibliche Zwergin geboren wird? Eure jahrhundertelange Hingabe an die grosse Erdmutter, führte scheinbar dazu, dass die Vergehen eures damaligen Vorfahren gesühnt worden sind.“
„Ja, du hast recht!“ Ein Leuchten erschien auf dem Gesicht des Zwergs. „Es muss so sein, sonst… wäre Lumnije niemals auf die Welt gekommen. Meine Brüder werden ausser sich sein vor Freude, wenn sie die Kleine das erste Mal zu Gesicht bekommen! Nun beginnt wirklich eine ganz neue Ära!“
„Das stimmt,“ sprach Benjamin und auch seine Augen waren feucht von Tränen der Rührung geworden. Sanft legte er Sebius die Hand auf den Arm: „Wenn du jetzt lieber gleich heimkehren willst, um dein Töchterchen deinem Volk vorzustellen, dann würden wir das verstehen. Wir können uns auch allein auf die Suche nach dem Greif machen.“
„Nein,“ erwiderte Sebius entschlossen. „Ich begleite euch, wie ich es versprochen habe. Ich kenne diese Gegend gut und ihr könnt bestimmt einen Führer gebrauchen. Ausserdem bin ich auch neugierig darauf, mal so ein mächtiges Wesen wie diesen Greifen zu sehen. Vielleicht kann die kleine Lumnije ja sein Herz etwas erweichen und die mächtige Kreatur überlegt sich dadurch zweimal, ob sie uns fressen will.“
Die letzten Worte, waren eindeutig als Spass gemeint, aber sie gaben den Geschwistern doch etwas zu denken. Hoffentlich war das Mischwesen wirklich friedlich und dazu bereit ihnen beizustehen! Denn einen Plan B gab es bisher nun mal nicht...