Der junge Mann nutzte diese Gelegenheit gleich, um ein wenig zu joggen. Der Wolf trabte dabei völlig mühelos neben ihm her. Die beiden waren wirklich ein besonderes Gespann. Sie suchten sich zuerst eine geeignete Stelle im Eis, wo Manuel dann ein Loch bohrte und seine Rute hineinwarf. Nach erstaunlich kurzer Zeit, zogen sie bereits die erste Regenbogenforelle an Land. „Du kannst den Ersten haben,“ meinte Manuel und warf dem Wolf den Fisch hin.
Dieser schnupperte kurz daran, dann begann er zu fressen. „Das ist wirklich gut,“ sprach er. „Leider sind Fische für uns nicht so einfach zu fangen.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Also lass es dir schmecken!“
In Laufe des Tages fingen die beiden Freunde noch mehrere Fische und teilten diese gerecht untereinander auf. Durch diese gemeinsam Aktivität, vertiefte sich ihre Freundschaft und der Wolf wurde immer zutraulicher.
Als sie sich dann auf den Heimweg machten, rief Manuel: „Wer zuerst bei der Hütte ist, hat gewonnen!“ Dann lief er so schnell er konnte los.
Der Wolf folgte ihm natürlich sofort und anfangs waren die beiden fast gleich auf. Doch dann liess die Ausdauer des Jungen langsam nach und Simao überholte ihn schliesslich mühelos. Als Manuel, ziemlich ausser Atem, endlich bei der Hütte ankam, sass das Tier vor deren Tür und blickte ihm verschmitzt entgegen. „Gewonnen!“
„War ja eigentlich auch klar,“ meinte der 20- jährige und liess sich schwer neben dem Wolf in den Schnee fallen. „Ihr Wölfe seid es euch ja auch gewöhnt, längere Sprints hinzulegen. Da können wir Menschen niemals mithalten.“
„Du hast dich aber schon ganz gut geschlagen,“ erwiderte der Wolf. „Noch etwas mehr Training und du kannst mit mir und meinem Rudel auf die Jagd gehen.“
„Meinst du denn, dass dein Rudel damit einverstanden wäre?“
Der Wolf überlegte einen Moment, dann erwiderte er: „Ich weiss nicht, aber schlussendlich habe ich da das letzte Wort.“
Manuel nickte, sagte aber nichts weiter dazu und die beiden schwiegen sich eine Weile an.
Schliesslich meinte der junge Mann jedoch: „Es wird langsam dunkel. Ich glaube, ich muss wieder an die Wärme.“ Er verbuddelte den restlichen Fisch in der Nähe des Schuppens im Schnee und beschloss, sich am nächsten Tag um die Konservierung selbigen zu kümmern.
Bevor er die Hütte betrat, überlegte er sich, ob er den Wolf vielleicht nochmals fragen sollte, ob er mit ihm reinkommen wolle. Doch dieser drehte sich bereit wieder um und trabte davon.
Manuel blickte ihm etwas traurig hinterher und verschwand dann in der Hütte.
Nach dem zweiten freien Tagen, stand dann erneut der Feuergreifen- Mann in Manuels Stube. Diesmal war der Junge jedoch wach und hatte bereits ein gesundes Frühstück zu sich genommen.
Sein rotgewandeter Meister lachte und sprach: „Es sieht ganz so aus, als hätte mein goldener Bruder dir einiges an Disziplin beigebracht.“
„So ist es tatsächlich,“ erwiderte Manuel. „Er hat mich so gedrillt, dass mir sein strammer Zeitplan mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen ist.“ „Und… wie fühlt sich das so an?“
„Eigentlich ganz gut, muss ich sagen. Es gibt mir eine gewisse Struktur, hier… in dieser Einöde.“
„Eine gewisse Struktur ist immer gut. Allerdings werde ich nicht gar so streng mit dir sein. Unser Training wird dir jetzt wie Ferien vorkommen.“ „Nicht, dass ich etwas gegen weniger Strenge hätte. Eine gewisse Disziplin will ich mir jedoch bewahren, das habe ich dem Erden- Greif versprochen.“ „Das scheint mir die richtige Einstellung zu sein! Bist du also bereit, für ein weiteres Waffentraining?“
„Das bin ich. Ich freue mich sogar so richtig darauf.“
„Das hörte man gern. Also mach dich bereit und komm dann nach draussen! Wir fangen mit einigen Aufwärmübungen an und fahren dann mit dem Schwerkampf fort.“
Gesagt getan. Die ganzen kommenden Tage, trainierten Manuel und der Feuer- Greif erneut intensiv mit den unterschiedlichsten Waffen weiter. Der Junge merkte dabei, wie viel leichter ihm auch dieses Training mittlerweile fiel. Er geriet viel weniger ausser Atem und war um einiges ausdauernder als zuvor.
Anders als der Erden- Greif, blieb der Feuer- Greif jedoch nie länger als bis zum Sonnenuntergang, an seiner Seite.
Dafür kam der Wolf Simao nun öfters bei Manuel vorbei und die Freundschaft der beiden, festigte sich mehr und mehr.
Eines Abends, kam das Leittier sogar in Begleitung eines zweiten Wolfes zu Besuch. Es handelte sich dabei um ein Weibchen, dass jedoch eine etwas hellere Fellfarbe und Gesichtsmaske als Simao besass. Sie wirkte anfangs sehr scheu und näherte sich dem Menschen nur ganz vorsichtig.
„Das ist mein Gefährtin Simbala,“ erklärte sein Wolfsfreund. „Ich… wollte sie dir endlich einmal vorstellen.“
Manuel musterte die beiden Wölfe bewegt. Das Simao ihm seine Gefährtin vorstellen wollte, hatte bestimmt eine sehr wichtige Bedeutung.
Er versuchte mit der Wolfsfähe gedanklich Verbindung aufzunehmen. Doch anfangs war das gar nicht so einfach, denn diese schien viel zu nervös und zu ängstlich dafür zu sein.
„Ich glaube sie fürchtet sich zu sehr vor mir,“ sprach Manuel. „Ich kann nicht mit ihr in Verbindung treten.“
Simao trat zu seiner Gefährtin und leckte ihr sanft die Ohren, um sie zu beruhigen. Die beiden schienen eine stille Zwiesprache zu halten. „Ich habe ihr nochmals gesagt, dass sie keine Angst vor dir haben muss,“ meinte der männliche Wolf dann „und dass ich dir vertraue.“
„Das… ist sehr lieb von dir,“ antwortete der Junge berührt. Noch einmal versuchte er einen Dialog mit Simbala zu führen: „Du musst keine Angst vor mir haben. Ich tu dir ganz bestimmt nichts.“
Und tatsächlich antwortete ihm diesmal die Fähe, wenn auch noch immer sehr zurückhaltend: „Mein Gefährte sagt das auch. Aber… ich habe bisher noch keinem von deiner Art vertraut.“
„Das kann ich natürlich verstehen. Vermutlich habt ihr auch noch nicht viele gute Erfahrungen mit meinesgleichen gemacht.“
Die Fähe schien etwas erstaunt, dass Manuel sie tatsächlich verstand. Doch dann fuhr sie fort: „Das kann man wohl sagen. Alle Menschen denen wir bisher begegnet sind, wollten uns meistens irgendwie töten.“
„Sie haben wohl auch Angst vor euch.“
„Angst vor uns? Das verstehe ich nicht. Wir kümmern uns gar nicht um sie und wollen nur in Ruhe gelassen werden.“
„Ausser ihr habt grossen Hunger, dann könnt ihr schon auch gefährlich sein.“
Die Wölfin schien etwas beleidigt. Doch dann erwiderte sie: „Also gut, unsere erste Begegnung war damals etwas unglücklich. Doch dann hast du dich um uns gekümmert und das macht dich, in gewisser Weise, zu einem Teil des Rudels.“
„Zu einem Teil des Rudels?“ fragte Manuel ungläubig.
„Ja. Meine Gefährtin spricht wahr,“ mischte sich nun wieder Simao ins Gespräch.
„Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es die anderen Wölfe eures Rudels auch so sehen.“
„Sie werden sich unserem Urteil beugen,“ erwiderte Simbala. „Wir sind das Alpha- Paar und wenn wir dich in unser Rudel aufnehmen wollen, dann werden sie es akzeptieren.“
„Also ich weiss nicht so recht. Immerhin bin ich ein Mensch. Ich kann nicht wirklich Teil eines Wolfrudels sein. Ausserdem habe ich ganz andere Aufgaben. Ich werde hier irgendwann wieder weggehen und dann trennen sich unsere Wege sowieso wieder.“
Als er das sagte, spürte der junge Mann einen Schwall von Trauer und Enttäuschung, die ihm vor allem von Seiten Simaos, entgegenströmte.
Er streckte seine Hand nach dem Wolf aus und versuchte ihn zaghaft etwas zu streicheln. Kurz liess dieser es sich auch gefallen, doch dann, als ihm bewusst wurde, was hier wirklich geschah, zuckte er sofort zurück.
„Du sollst mich doch nicht anfassen!“ begehrte er auf. „Wenn du nicht Teil unseres Rudels sein willst, dann sowieso nicht.“
„Es tut mir wirklich leid,“ Manuel fühlte sich auf einmal hundeelend. „Aber… ich kann euch nichts vormachen. Ich gehöre nicht in ein Wolfsrudel. Ich wüsste nicht mal, was ich da machen sollte.“
Simbala blickte ihren Gefährten mitfühlend an. „Er hat recht. Er kann… nicht Teil unseres Rudels sein. Aber… er kann unser Freund sein.“
„Das ist nicht dasselbe,“ erwidere Simao.
Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit. Simbala blieb noch einen Augenblick lang stehen und der Junge las Bedauern in ihren Augen. „Tut… mir leid,“ sprach er noch einmal.
Die Wölfin nickte kurz, dann folgte sie ihrem Gefährten und war ebenfalls gleich darauf verschwunden.