Besuch bei den Goldenen Tannen
Wieder zurück im Heimatdorf von Hungoloz, wurden die Abtrünnigen vorerst in eines der stabilsten Gebäude gesperrt und alle legten sich danach erschöpft schlafen.
Den kommenden Tag verbrachten sie mit ausgiebigen Beratungen, zu denen auch die verbündeten Sippenführer, eingeladen wurden. Es war doch noch eine stattliche Armee zusammengekommen, die nun dem neuen König des Waldes, offiziell ihre Treue schwor.
Bald darauf, sandte Hungoloz verschiedenste Patrouillen in die feindlichen Waldgebiete aus, um auch die abtrünnigen Sippen, zur Vernunft zu bringen. Pia und Benjamin stellten so viel Feuerblumenmedizin her, wie sie konnten und gaben jeder Patrouille einige Ampullen davon mit. So konnten diese auch den feindlichen Fürsten zeigen, dass es ein Heilmittel für Bäume und Elfen gab.
Sie schickten ausserdem einige weitere Vogelboten, zurück ins Kristallschloss, um Lumniuz um Nachschub an Medizin zu bitten. Dabei hofften sie, dass es ihm und Manuel mittlerweile gelungen war, aus den Pollen der Feuerblumen, die ausgiebigere Tinktur herzustellen.
Während die Patrouillen ausschwärmten, machte sich Hungoloz, zusammen mit den Geschwistern, Malek, Tartaloz seinem Vater, ein paar verbündeten Elfen und jenen die Darkuloz gedient hatten, auf den Weg zu den Goldenen Tannen.
„Ich will sowieso mal nach ihnen sehen. Ich hoffe es geht ihnen gut,“ sprach der blonde Elf, „vielleicht haben sie uns auch noch etwas Wichtiges zu sagen.“
Pia, Benjamin und Malek begleiteten ihren Freund nur zu gerne, denn auch sie wollten sehen, was aus den Samen der grossen, Goldenen Tanne geworden war, die sie einst vor 20 Jahren auf der heiligen Lichtung eingepflanzt hatten. Dies war ein ganz besonderer Moment gewesen und sie erinnerten sich noch genau daran:
Sie traten zu dem mächtigen Baum uns sprachen: „Sei gegrüsst Goldene Tanne, Wir haben dir etwas mitgebracht." Benjamin nahm den goldenen Zapfen aus dem Beutel und hob ihn hoch, dabei sprach er: „Der Waldelf Hungoloz hat ihn uns geschenkt. Er bat uns die Samen zu deinen Ehren zu säen und dann versprach er, dass du mit uns sprechen wirst. Ausserdem sendet er dir die ehrfürchtigsten Grüsse." Mit diesen Worten bückte er sich und begann ein paar kleine Löcher zu graben. Pia half ihm dabei. Benjamin legte in jedes Loch einen Samen und bedeckte ihn wieder mit Erde. Als sie fertig waren, erhoben sie sich wieder und Pia sprach: „Wie du siehst, Geist der Goldenen Tanne, haben wir alle Samen des Zapfens gepflanzt. Bitte zeige dich uns nun!"
Und tatsächlich hatte die heilige Tanne dann mit ihnen gesprochen. Danach war sie gestorben und ihr Geist war auf die jungen, frisch spriessenden, Goldenen Tannen übergegangen. Wie gross diese wohl mittlerweile geworden waren?
Die Sonne ging gerade auf, als sie sich am zweiten Tag auf den Weg machten. Die Abtrünnigen Elfen waren an den Händen gefesselt und noch zusätzlich mit einem Seil aneinandergebunden. Doch sie wirkten ruhig und friedlich.
Pia flüsterte leise an Benjamin und Malek gewandt: „Ich hoffe nur, die Abtrünnigen halten ihren Schwur, den sie Hungoloz leisten müssen.
„Ich glaube schon,“ erwiderte Malek ebenso leise. „Sie alle verehren die Goldenen Tannen und wenn sie vor ihrem Angesicht den Schwur leisten, erhält dieser ein besonderes Gewicht.“
„Bei den Menschen würde so etwas vermutlich niemals funktionieren,“ meinte Benjamin.
„Das ist ein Unterschied. Ihr dürft nicht vergessen: Die Waldelfen sind Naturgeister und sie wissen tief in ihrem Inneren eigentlich, was ihre Aufgabe ist. Sie sehen ein, dass sie falsch gehandelt haben. Und jetzt da sie wissen, dass eigentlich Darkuloz selbst oder vielmehr der Schwarze Ritter, dieses Elend über sie und ihren geliebten Wald gebracht hat, werden sie diesen Schwur, ohne weiteren Widerstand, leisten.“
„Das hoffe ich,“ sprach Pia. „Vermutlich ticken Naturgeister anders als die Menschen.“
Malek nickte zustimmend und dann setzten sie ihren Weg schweigend fort. Immer mal wieder hielten sie an und gossen, einem noch lebenden Baum, die Medizin über die Wurzeln. Kurz darauf begann alles um sie herum wieder zu spriessen und zu gedeihen. Die Elfen, auch die Abtrünnigen, wohnten diesem Schauspiel immer wieder mit tiefster Ehrfurcht bei und man sah in ihren Augen, dass sie bereit waren, jeden Schwur zu leisten, der von ihnen verlangt werden würde.
Als sie die wundersame Lichtung, worauf die Goldenen Tannen wuchsen, beinahe erreicht hatten sprach Pia: „Ich bin richtig aufgeregt!“ Hungoloz der sich nun ebenfalls zu ihr und den anderen gesellt hatte sprach: „So geht es mir immer, wenn ich zur Lichtung reise. Ich war schon sehr lange nicht mehr da.“
„Nicht so lange wie wir nicht mehr dort waren,“ lachte Benjamin. „Ich war so vor… 100 Jahren das letzte Mal auf der heiligen Lichtung,“ meinte Malek schmunzelnd. „Hundert Jahre! Bist du schon so alt?“ entschlüpfte es Pia. „Ich dachte du bist höchstens um die 40/50.“
„Es wirkt so. Aber ihr wisst ja, dass wir im Märchenreich langsamer altern als die Menschen.“
„Markuloz muss dann ja uralt gewesen sein.“
„Ja, das war er auch. Er lebte schon vor der Entstehung der unterschiedlichen
Elfen Sippen. Er ist der Vater vieler Kinder.“
„Er hatte noch mehr Kinder, als Makraloz?“
„Ja, im Laufes seines langen Lebens schon. Makraloz ist sein jüngster Sohn. Die anderen leben vermutlich gar nicht mehr.“
„Ich dachte immer Markuloz lebte etwas… wenige umtriebig,“ meinte Pia. „Umtriebig!“ Malek lachte. „Er war der König des Waldes, das wurde er auch, weil er dabei mithalf, alle Sippen zu gründen. Seine Verwandtschaft, beinahe mit allen Sippengründern, hat ihn doch erst zum König des Waldes gemacht. Darum ist es der natürliche Lauf, dass Hungoloz seine Nachfolge antritt.“
„Aber warum trat eigentlich nicht Makraloz seine Nachfolge an?“ fragte Benjamin. „Ich bin eben nie von der Goldenen Tanne dazu auserwählt worden,“ sprach Makraloz demütig „anders als Hungoloz.“
Der blonde Elf lächelte etwas verlegen, als sein Vater das sagte und Pia gab es einen seltsamen Stich ins Herz. Das Hungoloz so eine wichtige Funktion erfüllen musste, liess sie noch mehr daran zweifeln, dass sie jemals glücklich mit ihm werden konnte. Sie konnte ihn nicht von seiner wichtigen Aufgabe abhalten und sie selbst hatte ebenfalls eine überaus wichtige Aufgabe, die sie nicht aufgeben konnte. „Ausserdem…,“ dachte die Frau bei sich, „wenn Markuloz wirklich so ein Hansdampf in allen Gassen war und so viele Frauen gehabt hat, die ihm Kinder schenkten, wer garantiert mir, dass Hungoloz mir wirklich sein ganzes Leben lang treu bleibt? Kann er das überhaupt oder… hat er als König des Waldes noch weitere Verpflichtungen? Muss er… sogar mehr Kinder zeugen?
Aber wenn er mir auch treu bliebe. Er altert viel langsamer als ich und überlebt mich vermutlich sowieso. Ich werde alt, doch er bleibt womöglich hunderte von Jahren, jung und voller Energie. Wenn er als Waldelf so langlebig ist wie sein Grossvater dann…“