Einen Moment lang, blickten alle, wie paralysiert, auf den Fleck, an dem der böse Ritter gerade noch gelegen hatte. Die Undinen standen mit gesenkten Köpfen da und Alwianas Lippen zitterten. Sie war kreidebleich.
Benjamin und Pia blickten zu ihren Freund Malek herüber. „Wie um alles in der Welt, hast du so viel Kraft aufgebracht, um dem Ritter so eine schlimme Wunde zuzufügen?“
Der Magier senkte etwas die Stimme: „Ich hatte ein wenig Hilfe von einem Freund aus der Unterwelt.“
„Etwa Balorion?“ Mit einer Mischung aus Entsetzen und Bewunderung musterten die Geschwister ihren Freund. „Er muss ja eine gewaltige Macht haben.“ „Die Macht eines uralten Elementar- Gottes, da habt ihr recht.“
„Unglaublich und irgendwie auch ziemlich unheimlich.“
„Ich weiss, aber zugleich ist es doch auch beruhigend, dass diese uralte Elementarmagie die Ritter, für eine Weile, unschädlich zu machen vermag. Denn dass die Ritter wahrhaft getötet werden können, glaube ich nicht. Wir werden es bestimmt nochmals mit ihnen zu tun bekommen. Früher oder später. Sie sind und bleiben sehr mächtig. Ihr seht ja, was sie immer wieder anzurichten vermögen.“
„Das stimmt,“ gab Benjamin beschämt zu. „Immerhin sind auch wir beinahe auf die Tücke dieses roten Bastards hereingefallen und haben anfangs an Nikso und seiner Familie gezweifelt…“
Benjamin wandte sich schuldbewusst an den König. „Verzeiht uns unser Misstrauen euch gegenüber. Wir hätten es wirklich besser wissen sollen.“
„Das ist schon in Ordnung. Ihr habt ja, am Ende, unseren Worten doch noch Glauben geschenkt. Dieser Ritter war ja auch wirklich sehr verschlagen. Errichtet dieses Scheusal einfach irgendwelche schreckliche Kerker, auf meinem Grund und Boden, foltert all diese armen Seelen und dann nimmt er auch noch meine Gestalt an, um mich als Schuldigen dastehen zu lassen. Welch schreckliche Boshaftigkeit, muss hinter solchen Taten stecken! Es ist… einfach unvorstellbar!“
Die Stimme des Meereskönigs brach auf einmal und er schwankte leicht. Das alles hatte ihn zweifellos sehr mitgenommen.
„Setz dich lieber etwas hin!“ sprach seine Frau und brachte ihm einen Stuhl.
Alwiana war währenddessen zögerlich etwas nähergetreten und fiel nun vor Nikso auf die Knie. „Vergib mir mein König!“ flehte sie. „Ich habe einen schrecklichen Fehler begangen. Ich liess mich ganz vom Hass beherrschen und war blind und taub für die Stimmen der Vernunft. Wie hätte ich auch jemals ahnen können, dass Almora hinter alledem steckt? Es sprach so vieles dafür, dass du der Schuldige bist. Noch immer kann ich kaum fassen, dass all diese scheusslichen Dinge, nur eine Inszenierung dieses grausamen, roten Dämons waren. So viel Leid, so viel Tod und Elend, ist damit einhergegangen. Ich bin schlicht sprachlos!
Ich selbst trage einen grossen Teil dieser Schuld und es… gibt nichts, was mein Verhalten entschuldigen könnte…“
Sie senkte das Haupt. „Ich erwarte deinen Richtspruch, mein König, wie immer er auch ausfallen mag.“
Nikso blickte Alwiana mit einer Mischung aus Trauer und Mitgefühl an und man merkte, dass er mit sich rang. Schliesslich sprach er mit ruhiger, besonnener Stimme: „Ich bin sehr froh, dass du deine Fehler einsiehst. Würde es nur mich betreffen, würde ich dir auch sofort vergeben. Doch bedauerlicherweise, hast du durch deine Taten, das ganze Omniversum gefährdet. Viele Gewässer wurden durch diesen Krieg in Mitleidenschaft gezogen und es wird eine ganze Weile dauern, bis alles wieder im Gleichgewicht ist. Ausserdem haben du und deine Schwestern, viele Meermänner, Meerjungfrauen und Nixen gefangen gehalten und zugelassen, dass der rote Ritter ihnen teilweise schreckliche Qualen zufügte. In eurem Zorn habt ihr sogar selbst Hand an die anderen Wassergeister gelegt und bestimmt viele schreckliche Traumata und Prägungen ausgelöst. Die Undinen haben schlicht vergessen, was ihre eigentliche Bestimmung ist, was die Bestimmung aller Wassergeister ist. Seit jeher sind wir dazu ausersehen, uns um die Gewässer unserer wundervollen Schöpfung zu kümmern. Ein jeder Wassergeist bekam eine, im eigens zugeteilte, Aufgabe. Die Undinen haben z.B. Kräfte, die wir Meermänner und Meerjungfrauen nicht besitzen und umgekehrt. Darum ergänzten wir uns auch immer perfekt.
Dieser… Krieg brachte einfach alles durcheinander…“
Er blickte mit bedrückter Mine auf Alwiana herab und diese nickte stumm.
Mit einem tiefen Atemzug fuhr Nikso fort: „Du warst die oberste Anführerin dieser Rebellion, auch wenn Almora die Fäden gezogen hat. Darum… bleibt mir nichts anderes übrig als dich, für immer, aus deiner Heimat zu verbannen. Du kannst nicht hierbleiben, nach allem was geschehen ist.“
Alwiana blickte zu ihm empor: „Du tötest mich also nicht, für meine Vergehen?“
„Ich habe noch nie jemanden getötet und werde nun auch nicht damit anfangen!“ erwiderte der König und Ärger schwang in seiner Stimme mit. „Das hätten du und die anderen Rebellinnen, eigentlich wissen sollen!“
Die Turner Geschwister merkten, dass der Schmerz, über den furchtbaren Rufmord, der an Nikso und seiner Familie begangen worden war, noch immer sehr tief sass und sie bewunderten es, dass der König dennoch seine Fassung behielt.
„Und… was geschieht mit meinen Schwestern?“ fragte Alwiana.
„Sie dürfen vorläufig bleiben. Denn wir brauchen fraglos ihre Hilfe, wenn wir das Gleichgewicht der Gewässer wieder herstellen wollen. Aber wenn sie auf irgendeine Weise nochmals auffällig werden, werde ich auch sie verbannen müssen.“
„Das wird nicht geschehen, versicherte ihm die Amazone der Meere und blickte zu den anderen Undinen, welche zustimmend nickten.
„Dann ist es ja gut. Schlussendlich brauchen wir alle einander, um das Omniversum zu erhalten. Dessen sei dir stets bewusst Amazone der Meere! Auch du besitzt wichtige Fähigkeiten, nutze sie in Zukunft für das Gute!“
Alwiana senkte erneut ihr Haupt und in ihren Augen glänzten auf einmal Tränen. „Ja… ich werde… mein Bestes geben, grosser Nikso!“
„Dann ist es ja gut. Erhebe dich nun, verlasse das Zuckermeerreich und kehre nie wieder hierher zurück!“
Die Undine erhob sich und schlug leicht ihre Beine zusammen. Dann sprach sie: „Ich danke euch für eure Gnade, grosser König!“
Nikso winkte etwas müde ab und nachdem Alwiana ihm und den anderen kurz nochmals zugenickt hatte, verliess sie das kleine Haus.
Die anderen Undinen schauten ihr etwas bekümmert hinterher. Nikso erhob sich nun wieder aus seinem Stuhl und straffte seine Schultern: „Dann also los! Es gibt noch eine Menge zu tun!“
Es dauerte nicht lange, bis im Zuckermeerreich alles wieder einigermassen seinen gewohnten Lauf nahm.
Die Undinen legten ihre Waffen nieder und halfen den Wassermännern, Meerjungfrauen und Wasserfeen dabei, den Gewässern ihr Gleichgewicht wiederzugeben. Mit dem Verschwinden des roten Ritters, verschwanden zum Glück auch die schrecklichen Kerker und Folterinstrumente in Niksos Schlosskeller. Dies war ein weiteres Indiz dafür, dass das Böse sich tatsächlich aus dem Meeresreich zurückgezogen hatte.
Die Königsfamilie zog nun wieder in ihren Palast ein. Ebenso die anderen, die dort gelebt hatten und welche vom Kriegsgeschehen in alle Himmelsrichtungen zerstreut worden waren.
Nikso traf sich kurz darauf mit den anderen Königen und Königinnen der verschiedenen Meeresreiche. Darunter auch mit Niksana, welcher sich sehr freute, die Grossen Führer wiederzusehen.
Stundenlang brachten die verschiedenen Majestäten bei Verhandlungen zu, zu denen auch einige Vertreter der Undinen und Wasserfeen geladen waren. Sie wollten damit ein Zeichen setzen, dass alle Wasservölker gleichberechtigte Partner waren und man wollte in Zukunft alle Entscheidungen, gemeinsam mit den unterschiedlichen Rassen, treffen. Eine neue, demokratische Ordnung hielt im Wasserreich Einzug und so hatte der Krieg, so schreckliche Spuren er auch hinterlassen hatte, schlussendlich doch noch einen positiven Nebeneffekt.
Am Abend, vor ihrer Abreise, sassen die Geschwister und Malek nochmals mit Nikso, seiner Familie und Niksana und dessen Familie zusammen. Es wurde ihnen ein wundervolles Mahl aufgetischt und sie unterhielten sich angeregt.
„Was meint ihr?“ frage Benjamin an die Könige gewandt „werdet ihr das Gleichgewicht der Gewässer wieder ganz herstellen können?“
„Wir geben auf jeden Fall unser Bestes,“ meinte Nikso „aber es wird seine Zeit brauchen. Der rote Ritter hatte leider nicht unrecht. Ein gewisser Schaden wurde schon angerichtet. Das teilweise noch immer angespannte Verhältnis der verschiedenen Rassen zu den Undinen, trägt nicht unbedingt dazu bei, dass es leichter wird.
Viele mussten Schreckliches erleiden, wurden wegen der Verschmutzung der Gewässer krank und jene die durch die Hand Almoras und der Undinen starben, sind nicht so einfach zu ersetzen.
So einen Krieg hat es auch noch nie im Wasserreich gegeben. Bisher haben wir immer eine friedliche Lösung für alles gefunden.“
„Das stimmt,“ bestätigte Niksana. „Diesmal allerdings, wurden wir alle in etwas hineingezogen, dass es niemals hätte geben dürfen. Die Kluften die dadurch entstanden sind, sind nicht so einfach zu schliessen. Doch das Wassersystem wird jetzt zumindest nicht zusammenbrechen. Dafür sorgen wir schon.“
„Ich werdet das alles bestimmt schaffen,“ sprach Pia zuversichtlich.
„Das haben wir auch zum grossen Teil euch zu verdanken. Wenn ihr diese Sache mit Almora nicht aufgeklärt und sie als einen der bösen Ritter entlarvt hättet, wäre es noch viel schlimmer gekommen. Nicht auszudenken!“ „Daran dürft ihr jetzt nicht mehr denken!“ sprach Benjamin. „Ihr schafft das und irgendwann werden sich die Wassergeister auch gegenseitig wieder mehr vertrauen lernen.
Die demokratische Regierungsform, die ihr nun eingeführt habt, wird sicher wesentlich dazu beitragen.“
„Das hoffen wir sehr,“ sprach Nikso nachdenklich. Dann wechselte er das Thema und meinte: „Schade dass ihr Morgen schon wieder weiter müsst.“
„Es bleibt uns leider nichts anderes übrig. Es wird Zeit, dass wir endlich etwas Handfestes gegen diese drei Ritter unternehmen.“
„Ich hoffe ihr habt Glück! Möge der grosse, mächtige Geist an eurer Seite sein!“