Manuels Vision
Schlechte Nachrichten aus der Wasser-Welt
Malek
Als die Nymphen wieder verschwunden sind, fällt eine dunkle Vorahnung wie ein Schatten über mich. Durch das was Miranda und Kiranda über einen Konflikt beim Wasservolk erzählten, begriff ich einmal mehr, wie ernst die Lage schon sein muss. Wir müssen unbedingt herausfinden, was wir als nächstes tun sollen! So gerne würde ich Pia und Benjamin sagen, wie es weitergeht, doch ich fürchte, auch ich weiss gerade selbst nicht, was das Beste ist. Ich setze meine ganze Hoffnung in Aurelia. Sie ist ein weiser, uralter Geist, der so viel mehr an Wissen besitzt, als ich oder sonst irgendjemand. Pia spricht das aus, was ich denke:
„Das alles klingt nicht gut. Wenn es schon bei dem sonst so friedlichen Wasservolk Kriege gibt, wie soll das noch enden? Alles läuft irgendwie falsch. Auch diese Seuche… die Ismala befallen hat… es macht mir den Eindruck, als wären da weit dunklere Mächte am Werk, als die, mit denen wir schon mal zu tun hatten.“
„In einigen alten Schriften unserer Welt, wird von solchen Ereignissen berichtet,“ stimme ich Pia zu. „Es ist darin von Seuchen, Krieg und Tod die Rede.“
„Das wird auch in unseren Schriften erwähnt,“ mischt sich Manuel ins Gespräch. „Ich glaube irgendwo steht sogar etwas von diesen seltsamen Rittern. Meint ihr wirklich, das alles tritt nun wirklich ein.“
„Ich weiss es nicht,“ erwidere ich „eigentlich war ich stets der Auffassung, dass wir unser Schicksal zum grössten Teil selbst bestimmen. Aber es kann gut sein, dass wir uns ganz neuen Herausforderungen stellen müssen. Krieg im Wasservolk, die ersten Todesopfer der Seuche, sogar im Kristallreich, was kommt sonst noch auf uns zu…?“ Sogleich möchte ich mir am liebsten auf die Zunge beissen, denn eigentlich wollte ich Pia, Benjamin und Manuel noch nichts davon erzählen. Nun… jetzt ist es raus!
„Was sagst du da!?“ rief Benjamin erschrocken „Es gibt auch im Kristallreich schon Seuchen-Opfer?“
„Ja leider…“ erwidere ich traurig. „Eigentlich wollte ich es euch noch nicht sagen, aber nun wisst ihr es. Wenn wir ins Kristallreich reisen, erfahrt ihr es sowieso. Ich habe durch meine Kristallkugel gestern noch Verbindung zu Hungoloz und Lumniuz aufgenommen. Die beiden kümmern sich nun um das Schloss von Ululala. Sie berichteten mir davon, dass sich auch bei ihnen die Seuche ausbreitet. Auch sie sind ratlos, deswegen.“
„Das hättest du uns auch früher erzählen können!“ ärgerte sich Pia. „Auch das mit Hungoloz und Lumniuz.“ Dann lächelte sie jedoch sogleich wieder „Ich freue mich schon so sehr, die beiden wieder zu sehen…“
In Pias Augen erscheint ein schwärmerischer Ausdruck. Natürlich, sie und Hungoloz der Waldelf sind sich schon immer zugetan gewesen und Lumniuz der Erdgnom war ihr und Benjamins erster Begleiter, welcher sie einst zu Ululala gebracht hatte.
Das Gasthaus zum Goldenen Gral, war ein alter Riegelbau. Die vom Wetter verwitterten Zwischenstreben, waren im Laufe der Jahre fast dunkelbraun geworden, sein Dach war aus Stroh, wie das der danebenliegenden Steinbauten. Zwei uralte, unebene Treppentritte, führten zu einer geschnitzten Eichentür. Ächzend öffnete sich diese. Der Innenraum war altertümlich eingerichtet. Etwa zehn kleinere und größere Holztische stand herum, ebenfalls mit fantasievollen Schnitzereien an den vierteiligen Füssen. Überhaupt war alles mit irgendwelchen Schnitzereien verziert, sie stellten seltsame Fabelwelsen, wie Drachen, Mischwesen und andere dar. Die hellbraunen Dachbalken waren ebenfalls verziert und der Giebel mit mythischen Szenen bemalt. Die alten Stühle waren mit einem samtähnlichen, grünen Material bezogen. Die Turner Kinder hatten noch nichts dergleichen gesehen. Erstaunt blickten sie sich um. Ein seltsamer Haufen von Leuten hatte sich hier versammelt. Es gab kleinwüchsige Männer mit dichten Bärten (Zwerge), daneben saßen ebenfalls kleine, gedrungenen mit großen, roten Nasen (Trolle). Auch gab es Hochgewachsene, schlanke Personen mit grünen, für die Kinder mittelalterlich anmutenden Kleidern und spitzen Ohren (Waldelfen), makellos schöne Herren und Damen, mit luftigen bunten Gewändern, deren Haare von blond über dunkel zu silbern fast alles aufwiesen (getarnte Luftgeister) und auch noch Gestalten mit feurigen Haaren, dazu passenden Kleidern und Funken in den Augen (getarnte Feuergeister).
Aber jemand anderer zog die Aufmerksamkeit der Geschwister auf sich. Es war ein schmaler, zwergenhafter Mann, vermutlich in mittleren Jahren, mit einer ledernen, braunen Hose, einem ebensolchen Oberteil und einem spitzen Hut auf dem Kopf (Erdgnom). Sein Gesicht war länglich und ein kurzes, spitzes Bärtchen zierte sein Kinn. Um den Hals trug er einen blauen Kristall, wie Isobia es beschrieb. „Das muss unser Kontakt sein!“ rief Benjamin aus und bahnte sich einen Weg zwischen den Tischen hindurch. Dabei achtete er nicht sonderlich auf die erstaunten Gesichter rundherum. Der Braungewandete erhob sich und kam den beiden entgegen. „Seid ihr die Turner Kinder?“ fragte er mit einer eher meckernden Stimme?“ Bist du denn Lumniuz?“ stellte Benjamin vorsorglich die Gegenfrage. „Ja, der bin ich. Kommt mit! Wir gehen dorthin wo wir ungestört sind. Man weiß nie, wann die Diener des Bösen herkommen. Ihr müsst sehr auf der Hut sein! Kelwin der Wirt, hat uns ein Zimmer an einem sicheren Ort besorgt. Es ist unten im Kellergeschoss, etwas dunkel, aber eben...sicher.“
Erinnerungen brechen über mich herein. Ich war damals noch ein Diener der Finsternis und versuchte alles, um Pia und Benjamin an ihrer Reise zu Ululala, zu hindern. Noch heute begreife ich nicht so richtig, was mich damals bloss so auf Abwegen gebracht hat. Ich verfolgte die drei damals gnadenlos, hetzte viele schreckliche, monströse Gestalten auf sie und es gelang mir sogar beinahe, sie zu töten. Das werde ich mir wohl niemals verzeihen.
Die Geschwister warteten in ihrem Versteck sehnlichst darauf, bis die furchtbare Truppe, der finsteren Kapuzenträger endlich vorbei war. Doch stattdessen blieb sie fast neben ihnen stehen und blickte auf einmal unverwandt auf den Zwischenraum zweier Bäume, die den Weg säumten. Fassungslos sahen Pia und Benjamin, wie ein verschwommenes Gesicht, aus Schatten entstanden, dort plötzlich auftauchte. Es war nicht deutlich zu erkennen, doch seine Augen wirkten etwas wie die eines Reptils. Eine herrische Stimme sprach zu den Kuttenträgern: „Ihr müsst euch jetzt besondere Mühe geben! Ich weiß, dass die beiden Jugendlichen hier in Irland sind. Sie werden vermutlich einen Helfer haben, der um mich und euch weiß. Lasst nicht zu, dass sie ihn jemals treffen!“ „Wie du befiehlst Herr,“ sprach der Anführer der Männer. „Wir kämmen alles durch und werden sie irgendwann finden.“ „Irgendwann ist nicht genug!“ war die unwirsche Antwort. „Also strengt euch gefälligst an!“ Die Angesprochenen senkten respektvoll den Kopf, was einer Zustimmung gleichkam. Dann...verschwand das seltsame Antlitz wieder und die finsteren Gestalten, gingen endlich weiter.
Ich war es gewesen, der damals die schwarzen Druiden, welche eigentlich getarnte Dämonen waren, befehligte. Der Herr der Finsternis, hatte mir diese gegeben um die grossen Führer aufzuhalten. Meine Erinnerungen an meinen damaligen Zustand, sind irgendwie verschwommen, als wäre es ein böser Traum gewesen, aus dem ich zum Glück wieder erwacht bin. Trotz all meiner schrecklichen Taten, die ich damals jedoch beging, verziehen mir Pia und Benjamin und nun sind wir die besten Freunde geworden. Ich hätte auch hinsichtlich der Seuchen-Opfer im Kristallreich und den Verbleib von Lumniuz und Hungoloz, mit offenen Karten spielen sollen. Ich hoffe sehr die Geschwister nehmen mir das nicht zu übel. Eigentlich wollte ich sie nur schützen, aber schlussendlich habe ich erneut falsch gehandelt, wie so oft in meinem Leben.
„Es tut mir leid,“ spreche ich „mir ist nun klar, dass ich mit euch darüber hätte reden sollen.“
„Allerdings!“ meinte Benjamin „immerhin geht er hier um eine schreckliche schwarz-magische Macht, die unsere besten Freunde ebenfalls bedroht!“
Ich möchte etwas erwidern, doch ein plötzlicher Aufschrei von Manuel, lässt mich herumfahren: „Nein, nein!“ schreit er auf einmal. „Tu ihnen nicht weh! Lass sie in Ruhe!“
"Manuel! Was ist?“ frage ich besorgt, doch der Junge scheint meine Stimme gar nicht wahrzunehmen. Er blickt durch mich hindurch, als ob ich ein Geist wäre. Seine Augen sind schreckgeweitet und füllen sich nun mit Tränen „Nein, nein! Das ist doch meine Heimat! Lass sie sein! Lass sie leben!“ Manuel sinkt in die Knie und es scheint, als würden sich vor ihm schreckliche Szenen abspielen, welche uns jedoch verborgen bleiben. „Manuel, was ist bloss los mit dir?“ will nun auch Pia ängstlich wissen und legt dem Jungen ihre Hand auf die Schulter.
„Nein, lass sie! Lass sie leben!“ schreit Manuel immer und immer wieder. Die Verzweiflung und Panik in seiner Stimme, geht uns allen durch Mark und Bein.
„Was um alles in der Welt ist das für ein Radau?“ diese Frage kommt von Miranda und Kiranda, welche nun wieder aus dem Wasser, in dem sie vorhin verschwunden waren, auftauchten. Als sie Manuels Zustand sahen, blickten ihre Augen jedoch verständnisvoll.
„Er hat wohl eine Vision. Eine schreckliche Vision, wie es scheint,“ sprechen sie wie aus einem Munde. Sie treten zu Manuel hin und legen ihm beide eine ihrer feingliedrigen, kühlen Hände auf die Schultern. „Wach auf Manuel,“ sprechen sie mit beruhigender Stimme. „Es ist nicht real, es ist nur eine Vision! Kehre zurück zu uns!“ Tatsächlich scheint es zu funktionieren und Manuel beruhigt sich. Schliesslich öffnet er seine verweinten Augen und schaut er uns zum Glück wieder an.
„Was ist bloss geschehen?“ frage ich ihn noch einmal. „Du warst nicht mehr ansprechbar.“ Manuel schüttelt sich leicht, als würde er aus einem schrecklichen Traum erwachen.
„Was war das?“ fragt er mich und die anderen.
„Wenn wir das nur wüssten,“ antworte ich. „Miranda und Kiranda denken, du hast eine Vision gehabt. Was hast du gesehen Manuel? Erzähl es uns!“ „E…es war schrecklich! Da waren so viele Tote… so viele. Und da war da dieser grässliche, schwarze Ritter. Überall wo er hin kam, starben Menschen. Er ritt auf seinem schwarzen Pferd mit den glühend-roten Augen, einfach über die Toten hinweg. Es knackte so seltsam und überall war... Blut! Es kümmerte ihn nicht im Geringsten. Er ist schrecklich böse, voller Finsternis! Er besitzt kein Herz. Er ist… wie der Tod selbst, nein noch schlimmer, viel schlimmer. Er ist es der die Seuche heraufbeschworen hat. Wir müssen etwas gegen ihn tun! Wir müssen… alle Geschöpfe vor ihm retten. Das was ich gesehen habe, wird passieren, vieles ist bereits passiert!“ Erneut füllten sich Manuels Augen mit Tränen „Das alles… es war so real, so schrecklich real! Warum nur passiert mir so etwas?“
„Es scheint wirklich als seist du etwas ganz Besonderes mein Junge,“ sprachen Miranda und Kiranda mitfühlend. „Du besitzt vermutlich die Gabe der Seher. Wir können uns gut vorstellen, dass das was du über den schwarzen Ritter sagst, wahr ist. Auch wir haben schon Geschichten von einem finsteren Ritter gehört. Er soll nach dem Einschlag des einen Sterns im Meer, selbigem entstiegen sein. Doch die Leute beschrieben ihn als rotglühend, nicht als schwarz. Die beiden haben bestimmt etwas miteinander zu tun. Es könnte vielleicht sein, dass…“ die Augen der Nymphen weiten sich vor schrecklicher Erkenntnis. „Es könnte sein, dass der rote Ritter Kriege anzettelt, der Schwarze jedoch bringt Krankheit und Seuchen mit sich. Er hat wahrlich viel mit dem Tod zu tun, allerdings… der Tod ist oftmals auch gütig und weiss um die Gnade. Dieser Ritter jedoch, hat keinerlei Güte in sich. Vermutlich sind er und auch der Rote, Kreaturen der reinen Finsternis, des reinen Bösen. Wie Manuel sagte, wir müssen ihnen Einhalt gebieten! Wir werden sogleich mit allen grossen Anführern des Wasserreiches Verbindung aufnehmen und ihnen von diesen Erkenntnissen und Manuels Vision berichten! Geht ihr erst mal zur Kristallfrau und kümmert euch um die Opfer des Schwarzen Ritters und so der Grosse Geist will, auch um den Ritter selbst. Wir werden versuchen dem Roten Herr zu werden. So lebt denn wohl!“ Mit diesen Worten sprangen die Nymphen mit einem eleganten Sprung ins Wasser und waren sogleich wieder eins damit geworden!