Pia verstummte, als alle erstaunt und beeindruckt in eine besondere Richtung blickten. Hinter ihr war Hungoloz von seinem Baumhaus heruntergestiegen. Sie schluckte ein paar Mal leer, als er gemessenen Schrittes auf sie und ihren Bruder zukam. Er sah aus wie ein wahrer Fürst! Über einem grünen, aus edlem Stoff gefertigten Zweiteiler, trug
er einen weiten Mantel, aus vergoldeten Blättern. Sein Haar war sauber gekämmt und glänzte im Licht, wie gesponnenes Gold.
Seine, wie Bernstein schimmernden Augen, blickten entschlossen und würdevoll. Niemand der Anwesenden blieb von seinem majestätischen Anblick unbeeindruckt und vermutlich gingen den meisten ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf: Ein wahrer Fürst und würdiger Nachfolger von Markuloz! „Hoch lebe unser neuer Häuptling!“ rief Tartaloz laut und die versammelte Menge stimmte in seinen Jubelruf ein:
„Ja, er lebe hoch, hoch, hoch!“ Gejohle und Geklatsche folgten. Der Rummel um seine Person, schien dem jungen Waldelfen nicht sonderlich angenehm zu sein und automatisch wanderte sein Blick zu Pia herüber. Diese jedoch nickte ihm aufmunternd zu und als der Freudensturm sich etwas gelegt hatte, richtete Hungoloz seine Worte selbstbewusst an das Volk:
„Meine lieben Brüder und Schwestern! Schon viel zu lange ist es her, seit ich unter euch weilen durfte. Ich war wirklich sehr, sehr krank. Wie unser grosser Anführer Markuloz, die Geister seien ihm gnädig, fiel ich der rätselhaften, neuen Seuche zum Opfer. Doch dank ihnen beiden…“ Er deutete auf Pia und Benjamin „wurde ich wieder gesund und werde mein Bestes geben, das Waldvolk in dieser Krise würdig anzuführen. Natürlich werde ich Markuloz und auch meinen Vater Makraloz niemals ersetzten können, aber ich gebe mein Bestes…“
Wieder erhob sich Jubel. „Die grossen Führer, Tartaloz und ich, haben uns gestern Abend noch lange beraten, wie wir weiter vorgehen wollen und wir haben einige Entscheidungen getroffen. „Wir werden noch einmal versuchen uns friedlich mit Darkuloz zu einigen, denn immerhin ist und bleibt er einer unserer Brüder…“
Teils zustimmendes, teils verständnisloses Gemurmel, lief durch die Reihen der anwesenden Elfen. Doch Hungoloz ging nicht darauf ein, sondern sprach weiter. „Allerdings können wir nicht ohne Rückendeckung, in das Lager von Darkuloz einmarschieren. Wir werden deshalb die Hilfe der anderen Sippen brauchen. Ich werde mich darum kümmern, dass sie alle eine Nachricht erhalten, worin ich sie ersuche, sich mit uns zusammenzuschliessen und zu kämpfen, wenn es sein muss. Sollte Darkuloz keine Einsicht zeigen, dann muss er unter allen Umständen gestoppt werden!“ Wieder zustimmendes Gemurmel unter dem Volk. „Heute,“ sprach Hungoloz weiter, „werden wir alle nötigen Vorbereitungen treffen und sobald wir einen positiven Bescheid von den anderen Sippen erhalten, werden Pia, Benjamin und ich zu Darkuloz aufbrechen. In der Zwischenzeit, bleibt mutig und vertraut unseren Anweisungen! Dann wird alles sich zum Besten wenden!“
Hungoloz sprach diese Worte sehr zuversichtlich, doch in seinem Inneren quälten ihn Zweifel. Würde er dem allen wohl gewachsen sein? Würde er auch die richtigen Entscheidungen treffen?
Seine Ansprache war nun beendet und er und Tartaloz, begannen die ersten Anweisungen zu geben.
„Wir werden jetzt erst einmal schauen, ob wir den kranken Bäumen helfen können,“ meinte Pia, an die beiden Anführer gewandt. „Wenn es ihnen wieder besser geht, wird auch das Waldvolk wieder gestärkt werden. Da drüben, jene grosse Buche, bei ihr werden wir die Feuerblumen Medizin als erstes ausprobieren!“ Benjamin nickte und folgte ihr. Auch Tartaloz und Hungoloz konnten ihre Neugier nicht zügeln und folgten den Geschwistern zu der grossen Buche.
„Sie ist auf jeden Fall noch nicht abgestorben,“ stellte Pia fest. „Die eine Hälfte ihrer Zweige ist noch grün. Dann schauen wir mal.“
Sie holte ein Fläschchen aus ihrer Tasche und goss seinen ganzen Inhalt über die Wurzeln des mächtigen Baumes. Eine Weile geschah nichts, doch dann auf einmal ging ein Rauschen und Raunen durch die Blätter der Buche. Es klang wie ein erlöster Seufzer und kurz darauf, beobachteten die Freunde fasziniert, wie die Feuerblumen- Medizin goldig zu leuchten begann! Das Leuchten begann sie sich immer mehr auszudehnen! Wie der Schein einer kleinen Sonne, kletterte es den glatten, gräulichen Stamm der Buche empor und breitete sich dann in die Zweige und Blätter des Baumes aus. Fassungslos und mit grossen Augen, schauten die Freunde in die mächtige Krone, die nun ganz und gar in einen goldenen Schein gehüllt schien und dann auf einmal… begannen wieder neue Blätter und Zweige zu spriessen! Das alles geschah in so rasendem Tempo, als würde es ihm Zeitraffer passieren.
Der Baum seufzte erneut wohlig auf, als würde er endlich keine Schmerzen mehr leiden. Dann schüttelte er sich plötzlich, wie ein nasser Hund!
Die verdorrten Blätter fielen zu Boden, die abgefaulten Äste wurden von neuen, jungen herausgedrückt und ebenfalls abgestossen. Mit einem glückseligen Lachen sprangen Pia Benjamin und die beiden Elfen zurück um nicht noch von einem herabfallenden, kranken Ast getroffen zu werden. Auch die anderen Dorfbewohner waren nun herbeigeeilt und wohnten mit offenen Mündern und strahlenden Augen, dem wundersamen Schauspiel bei. Kurz darauf stand die Buche wieder in ihrer ganzen Pracht vor ihnen, frei von jeglicher Krankheit!
Aus ihrem Stamm schälte sich nun auf einmal ein Gesicht! Es war ein bärtiger, alter Mann mit einer Haube aus Bucheckern auf dem Kopf. Seine goldbraunen Augen richteten sich auf Benjamin und Pia: „Danke!“ sprach er mit tiefer, wohlklingender Stimme „danke, dass ihr mich geheilt habt! Das werden wir Baumgeister euch niemals vergessen, niemals! So nehmet nun von meiner Kraft, so viel ihr benötigt, denn eine bisher unerkannte Verderbnis, sucht den Wald heim und ihr braucht jede Hilfe die ihr kriegen könnt!“ Dann verschwand d as Gesicht wieder und Pia und Benjamin blieben tief bewegt zurück.