Der geheimnisvolle, weisse Ritter
Manuel war nach dem Abschied von seinen Freunden, mit gemischten Gefühlen zurückgeblieben. Irgendwie fühlte er sich schuldig, glaubte sie im Stich gelassen zu haben und doch… in ihm tobten so viele unterschiedliche Gefühle, dass er sich ausserstande gesehen hatte, sich schon wieder solch grossen Herausforderungen, wie einem Konflikt unter den Wassergeistern, zu stellen. In ihm war eine lähmende Müdigkeit, eine Mattigkeit, die er sich nicht wirklich erklären konnte. Er war hin und her gerissen, zwischen all den Empfindungen, und dem Wissen, welches ihm nun von seinem vorherigen Leben zufloss und seinem Leben als Manuel. Auch wenn er es den anderen niemals erzählt hätte, aber manchmal überforderte ihn das alles sehr und er spürte, wie sein Nerven- Kostüm litt.
Zeitweise bereute er sogar, dass er sich dem Ursprungsfindungs- Ritual überhaupt unterzogen hatte. Vor dem Ritual war er noch so voller Neugier und Enthusiasmus gewesen und hätte sich doch niemals eine Reise, in eine so sagenhafte Welt, wie die Welt der Undinen, Nixen und Meerjungfrauen, entgehen lassen.
Er dachte an die Zeit zurück, als er noch mit seinen Eltern am Meer gelebt hatte. So lange schien das nun schon her zu sein. So lange! Damals war die Welt noch in Ordnung gewesen und er hatte jeden Tag in vollen Zügen genossen. Besonders seine Zeiten am Meer. Wie sehr war er von all den Wesen fasziniert gewesen, die er damals durch seine Hellsichtigkeit, ab und zu, erblickt hatte. Nun aber, da er so viel neues Wissen gewonnen hatte, verlor das Ganze irgendwie an Besonderheit und das stimmte ihn sehr traurig.
Bisher war er stets intensiv damit beschäftigt gewesen, die wertvolle Feuerblumenmedizin herzustellen. Durch die Konzentration, auf nur diese eine, wichtige Aufgabe, war er von solch düsteren Gedanken weitestgehend verschont geblieben.
Aber nun… schien alles, wie ein Kartenhaus, über ihm zusammenzustürzen.
„Was nur ist meine Aufgabe?“ frage er sich immer und immer wieder. „Was erwartet das Göttliche von mir? Warum hat es mir all dieses Wissen zuteilwerden lassen, wenn ich es doch nicht richtig zu nutzen verstehe und es teilweise nicht einmal nutzen will?“
Wieder schweiften seine Gedanken zu Pia und Benjamin. „Ich hätte ihnen sicher nützlich sein können. Doch ich fühle mich gerade so schwach so… ausgepumpt. Ich glaube ich muss in den Raum der Stille und dort über all diese Fragen meditieren. Vielleicht bekomme ich ja eine Antwort.“
Manuel kniete sich im Raum der Stille nieder und bat den Grossen Geist und die Elementarfürsten, ihm doch zu helfen. Dann begann er zu meditieren. Lange kamen seine Gedanken jedoch nicht zur Ruhe.
Dann endlich, als es draussen bereits wieder begann Nacht zu werden, schaffte er es schliesslich in einen tiefen Trancezustand hinüberzugleiten und kurz darauf, wurde ihm eine wichtige Vision zuteil!
Er befand sich auf einmal in einem kopfsteingepflasterten Hof wieder, der etwas an den grossen Innenhof des Kristallschlosses erinnerte.
Plötzlich vernahm er hinter sich Hufgeklapper! Sofort musste er an die bösen Ritter denken und fuhr erschrocken herum. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen, als ein wunderschöner, weissgekleideter Ritter, auf einem mächtigen Schimmel, ihm entgegenritt. Sein weisser Helm und die weisse Rüstung, waren mit wunderschönen Verzierungen und Symbolen, aus reinstem Silber geschmückt. Über seinen Schultern trug er einen weiten, weissen Mantel, der mit silbernen Fibeln an der Rüstung befestigt war. Der Ritter lenkte sein Pferd näher an Manuel heran und nahm dann seinen Helm ab. Zwei, in hellem Grünblau leuchtende, gütige Augen, blickten dem Jungen entgegen.
„Wer… bist du?“ stotterte dieser. „Du gehörst nicht zu den drei bösen Reitern.“
Der weisse Ritter lächelte amüsiert und sprach mit wohlklingender Stimme: „Na, das will ich doch hoffen! Ich bin das genaue Gegenteil von ihnen.“
„Aber wer bist du?“
„Ein guter Freund, der hergekommen ist, um dir beizustehen, so wie du es in deinen Gebeten erfleht hast.“
„Bist du ein Engel oder so?“
„So etwas ähnliches vielleicht, aber nicht ganz.“
„Aber was oder wer, bist du dann?“
„Das wirst du noch früh genug erfahren. Doch sag mein Junge, was liegt dir auf der Seele?“
Manuel war etwas überrascht von dieser direkten Frage und auf einmal fehlten ihm die Worte. „Ich weiss auch nicht… seit ich dieses Ursprungsfindungs- Ritual gemacht habe, ist alles… so verwirrend.“
„Das kann ich sehr gut verstehen. Es sind im Moment etwas gar viele neue Eindrücke, die auf dich einprasseln und du fragst dich natürlich, was das alles eigentlich soll. Habe ich recht?“
„Ja, das stimmt,“ erwiderte Manuel, berührt davon, dass der Ritter so genau wusste, wie es in seinem Innersten aussah. Tatsächlich schienen die grünblauen Augen des Weissgewandeten, bis tief in seine Seele zu blicken und der Junge sprach, sicher, dass er vor seinem Gegenüber nichts zu verbergen vermochte: „Anfangs da dachte ich, es sei das Richtige, meinem einstigen Leben auf den Grund zu gehen. Doch nun, da ich das getan habe, bin ich völlig durcheinander. Und… ich hinterfrage tatsächlich den Sinn von alledem.“
„Du hättest dir all das wohl etwas leichter vorgestellt, nicht wahr?“
„Ja, irgendwie schon.“
„Aber deine Aufgabe ist nun mal nicht leicht, mein Junge. Du bist für etwas Höheres bestimmt, für etwas viel Höheres, als du es dir jemals ausmalen könntest. Dazu brauchst du die Fähigkeiten deiner beiden Leben. Die Erkenntnis, dass du einst Ululala, der mächtige Magier und Lehrmeister, so vieler Lebewesen warst, ist unerlässlich, damit du das ganze Potenzial, der in dir schlummernden Kräfte, zu entfalten vermagst. Der Zugang zu deinem alten Leben, ermöglicht dir Unglaubliches! Erkenne den grossen Reichtum, der darin schlummert und du wirst deinen Frieden mehr und mehr finden.“
„Aber wie?“ fragte Manuel, beinahe verzweifelt. „Wie soll ich diesen Frieden jemals finden?!“
„Indem du all das was dir gegeben wurde, auch als Geschenk zu erkennen vermagst und somit dein ganzes Potenzial für die bevorstehenden Aufgaben ausschöpfen lernst.“
„Aber was für Aufgaben sollen das den bloss sein? Ich bin doch eigentlich unbedeutend. Pia und Benjamin sind ja schliesslich die Grossen Führer.“
„Und genau darin irrst du mein Sohn und weil du das tust, verschliessen sich deine wahren Kräfte noch vor dir!“
„Dann sag mir doch einfach was ich tun soll! Sag mir, was meine Berufung ist!“
„Das kann ich dir nicht sagen, weil du deinen eigenen Weg zur Wahrheit finden musst.“
„Aber dann stehe ich ja doch allein da! Ich dachte du willst mir helfen?“
„Ich werde dir auch helfen, aber nicht indem ich dir alles offenbare, was noch vor dir liegt. Ich bin hier als Tröster, als jener der dir Zuversicht und Vertrauen in deinen Weg, vermitteln möchte. Denn wahrlich ich sage dir, ein wahrhaft wichtiger Weg ist dir vorgezeichnet.“
„Aber vielleicht bin ich ja noch gar nicht bereit für diesen Weg. Sonst käme ich mit all diesen Gefühlen doch besser klar!“
„Und genau da liegt dein Problem. Du haderst, anstatt das anzunehmen, was ist.“
Darauf wusste Manuel nichts zu antworten. Doch wie ein Echo klangen diese letzten Worte noch in ihm nach. „Annehmen was ist… annehmen was ist…“
„Ich sehe, du öffnest dich langsam der tieferen Wahrheit all dessen,“ stellte der Ritter zufrieden fest.
„Ich werde dir nun noch etwas mit auf den Weg geben. Etwas das dir helfen wird, neue Kraft und Zuversicht zu finden. Komm her zu mir!“
Manuel zögerte einen Moment, doch dann gehorchte er und trat vor den Ritter.
Dieser zog seinen Handschuh aus und streckte dem Jungen seine rechte Hand entgegen. Seine Finger waren schlank, aber die Haut an seinen Handflächen, wies erstaunlicherweise einige Schwielen auf, ein Zeichen dafür, dass dem Ritter auch handwerkliche Tätigkeiten, nicht unbekannt waren. Manuel hatte jedoch keine Zeit, näher darüber nachzudenken, denn der Weissgewandete sprach: „Streck auch du jetzt deine Hand aus, damit sich unsere Handflächen berühren können!“
Das tat der Junge und in dem Augenblick, da seine Hand jene des rätselhaften Ritters berührte, durchzuckte es ihn wie ein Blitz! Ein Gefühl von Sicherheit und grosser Zuversicht durchfloss ihn, wie eine Welle lichtvoller Energie und er spürte, wie es in der Umgebung seiner Stirn, ganz warm wurde. Ohne es wirklich zu sehen, glaubte Manuel nun ein Zeichen dort wahrzunehmen, welches aussah wie ein Stern, der nun hell zu strahlen begann. Und… in diesem Moment wusste er, dass er alles bewältigen würde, was auch noch immer auf ihn warten mochte!
Die Szene mit dem Ritter verschwamm nun wieder vor seinen Augen und er fand sich wieder im Raum der Stille!