Der Schwarze Tempel im Krater
Nach einem langen Marsch mit einigen Pausen dazwischen, erreichten die Reisenden schliesslich den Rand des besagten Kraters. Als sie in den tiefen Schlund hinabsahen, erschauderten sie. Nichts war zu erkenne, alles lag in tiefe Finsternis gehüllt. Dichte, dunkle Nebelschwaden, trübten die Sicht. Eine unheimliche Atmosphäre lag über dem Ganzen. Sie war beinahe greifbar und körperlich spürbar.
„Ich fühle eine sehr negative Schwingung,“ flüsterte Sebius den anderen zu.
„Ja, ich merke es auch,“ erwiderte Zyklopus, ebenfalls mit gesenkter Stimme. „Es ist wahrhaft unheimlich! Was bloss mein Volk hierherziehen mag? Es ist ein schrecklicher Ort.“
„Auf manche Lebewesen übt die Finsternis eben eine besondere Faszination aus,“ sagte Malek nachdenklich. „Ich habe einst selbst Erfahrung damit gemacht.“ Zyklopus nickte langsam „Ja, viele meines Volkes haben wohl tatsächlich verlernt im Licht zu leben. Ihre oft unbarmherzige Haltung, allem Lebendigen gegenüber, hat sie anfällig für die Finsternis gemacht.
„Vor einigen Jahren… wer weiss, hätte mich dieser Krater vielleicht auch magisch angezogen.“ „Womöglich empfinden deine Brüder und Schwestern diesen Ort ja auch gar nicht als so bedrohlich wie wir,“ meinte Pia „vielleicht wird ihnen auch irgendeine Illusion vorgegaukelt, die wir durschauen aber sie nicht.“
„Dann schauen wir doch einfach mal nach,“ meinte Benjamin. „Es sieht nicht sonderlich steil aus. Dort drüben könnten wir den Abstieg versuchen!“
Alle nickten und von Zyklopus angeführt, begannen sie hinabzuklettern. Teilweise war es ziemlich anstrengend und gefährlich, denn die doch recht steilen Abhänge bestanden aus feinem, schwarzen Kies, das sehr oft unter ihren Füssen nachgab. Manchmal rutschten sie mehr, als sie gingen. Zyklopus schnaufte schwer. „Ich frage mich wirklich, wie die anderen Riesen das machen. Es gibt doch nirgendwo einen richtigen Pfad. Dennoch pilgern sie zu Hunderten hierher.“ „Vielleicht ist da ebenfalls irgendeine dunkle Magie am Werk,“ meinte Malek. Diese soll vermutlich verhindern, dass irgendwelche Ungläubige wie wir hier herunterkommen. Wir müssen froh sein, wenn wir uns nicht den Hals brechen. Ich versuche uns etwas mit meiner Magie zu stabilisieren.“ Der Magier murmelte einige Worte und tatsächlich fiel den Freunden der Abstieg nun um einiges leichter als zuvor.“ „Es ist wirklich von grossem Nutzen, wenn man so einen mächtigen Zauberer an der Seite hat,“ meinte Sebius bewundernd. Sturmius nickte und meinte dann: „Dennoch kann ich noch immer nicht erkennen, was da unten auf dem Grunde des Kraters ist. Könnt ihr etwas sehen?“ „Nein! Bisher nicht!“ war die einstimmige Antwort. „Das ist schon sehr seltsam,“ murmelte Benjamin. „Ich hoffe nur, wir erreichen den Grund irgendwann.“
Nach endlos scheinender Zeit, die die Geduld der Reisenden stark auf die Probe stellte, gelangten diese endlich auf flachen Boden. Auch hier bestand alles aus dem schwarzen Gestein, das den ganzen Krater bildete. Nun jedoch, lichtete sich wenigstens der dunkle Nebel etwas und auf einmal tauchte vor ihnen ein riesiger, schwarzer Tempel auf!“ Benjamin und Pia erschraken sehr. Dieser Tempel erinnerte sie frappant an den Tempel des schrecklichen Priesters Skarion, mit dem sie und Malek es vor zwei Jahrzehnten einstmals zu tun bekommen hatten. Schauder liefen ihnen über den Rücken, wenn sie daran zurückdachten. „Dieser Tempel…“ flüsterte Pia. „Er sieht tatsächlich fast genauso aus wie…“ „Ja, er sieht aus, wie Skarions einstiger Tempel,“ vollendete Malek mit unheilschwangerer Stimme ihren Satz. „Auch wenn es… ein paar kleine Unterschiede gibt. Er ist erstens viel grösser und zweitens etwas mehr in die Länge gezogen.“ „Ein Tempel für Riesen gemacht,“ sprach Zyklopus tonlos.“ „Ja…, ein schwarzer Tempel, in dem irgendeiner finsteren Gottheit gehuldigt wird,“ stimmte ihm Sebius mit leicht zitternder Stimme zu. Zyklopus und die andern nickten betroffen. „Das alles ist wirklich sehr unheimlich.“ gab Pia zu. „Seht ihr die dunklen Wolken, die sich über der Spitze des Tempels zusammenballen und sich von dort aus weiter ausbreiten? Von da muss dieser Nebel kommen, der alles verhüllt.“ „Seht ihr irgendwo jemanden?“ fragte Ben. Alle blickten sich eingehend um. „Nein, niemand.“ „Dann lasst uns mal etwas näher herangehen.“ „Meint ihr, das ist wirklich klug?“ fragte nun Sturmius, den all sein Mut auf einmal verlassen zu haben schein. Ein fast panikartiges Funkeln, lag dabei in seinen grauen Augen.
So hatten die Geschwister den mutigen Zwergen- Mann noch nie gesehen. Sie konnten ihn jedoch verstehen, denn auch sie spürten die unheilvolle Atmosphäre, die von diesem mächtigen Tempel ausging, beinahe körperlich. Trotzdem mussten sie wissen, was dort vor sich ging und so verliessen sie vorsichtig die sichere Deckung einiger verkrüppelter Büsche und schlichen näher an das schwarze Gebäude heran. Malek und Zyklopus folgten ihnen auf dem Fuss. Die beiden Zwerge zögerten noch einen Moment lang, dann taten sie es ihnen jedoch nach.
Als die Freunde den riesigen, schwarzen Tempel beinahe erreicht hatten, vernahmen sie aus seinem Inneren eine laute, donnernde Stimme. Noch verstanden sie aber nicht, was gesprochen wurde. „Mal sehen, ob wir da irgendwo reinkommen,“ meinte Ben. „Ihr… wollt da rein?“ fragte Sebius und auch in seinen Augen lag nun blanke Furcht. „Na klar! Wir haben diesen anstrengenden Abstieg ja nicht umsonst auf uns genommen. Es wird Zeit, dass wir herausfinden, was da vor sich geht. Wir tun das ja schliesslich für das Zwergenvolk.“ „Dennoch… ich weiss nicht, ob wir irgendetwas ausrichten können, sollte es hier tatsächlich so einen finsteren Riesen- Kult geben, wie wir es vermuten. Habt ihr denn irgendeinen Plan?“ „Bisher nicht, aber uns wird bestimmt noch etwas einfallen. Vertraut ihr uns nicht?“ „Doch, doch natürlich!“ „Dann ist es ja gut! Schaut, da hat es sogar eine Hintertür. Mal sehen, ob wir da reinkommen. Das ist ja ein wahrhaft Riesen- haftes Portal. Zyklopus, kannst du uns dabei helfen?“ Der Riese nickte und trat näher an die Tür heran. Er lauschte einen Moment lang, dann drückte er so leise wie möglich die Klinke herunter und die Pforte ging einen Spalt weit auf. Benjamin ging mutig voran und schaute sich zuerst eingehend um. Sie befanden sich im hinteren Teil des Tempels und alle Anwesenden drehten ihnen den Rücken zu. Es handelte sich bei den Besuchern tatsächlich nur um Riesen. Vorne bei einem dunklen Altar stand eine, in eine schwarze Kutte gekleidete, mächtige Gestalt, die eine Art Predigt hielt. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Das war schon sehr seltsam. Ben ging hinter einer mächtigen, steinernen Statue in Deckung und winkte dann seinen Begleitern zu, die ihm sogleich folgten.