Der Sternen- Talisman
Im Schloss der hundert Juwelen, beschlossen die Freunde, sogleich ihre Gemächer aufzusuchen, denn sie wollten die Königseltern heute nicht mehr stören. Sara übernachtete in Benjamins Zimmer, fand jedoch lange keine Ruhe. Ihr Geliebter seinerseits, war, nachdem die beiden noch etwas ihre Zweisamkeit genossen hatten, sogleich eingeschlafen und die junge Frau lauschte nun schon eine Weile auf seine regelmässigen Atemzüge. Viele Gedanken gingen ihr dabei durch den Kopf und schliesslich hielt sie es nicht mehr aus. Sie warf sich einen leichten Mantel über und beschloss noch kurz zu den Ställen hinüber zu gehen. Das hatte sie früher auch öfters gemacht, wenn sie nicht hatte schlafen können. Stille umgab sie und nur ab und zu vernahm sie die Geräusche einiger Nutztiere, die in der Nähe ihr Quartier hatten. In der Ferne, bellte ein Hund und die Kirchenglocken des Nachbar- Ortes, schlugen gerade zwei Uhr.
Sara kannte den Weg zu den Ställen gut. Ausserdem war der ganze Weg mit dem blassen Licht einiger Fackeln erhellt und sie trug auch noch eine Kerze bei sich. So konnte sie einigermassen gut sehen.
Bei den Ställen angekommen, steuerte sie sogleich auf jene Box zu, in der Silberstern jeweils gelebt hatte. Ob sie wohl noch leer war? Sogleich vernahm sie jedoch ein leises Schnauben aus der Box. Sie verschnellerte ihren Schritt und in ihr keimte auf einmal die Hoffnung auf, dass Silberstern vielleicht doch wieder zu ihr zurückgekehrt war. Als kurz darauf in dessen Box blickte, zuckte sie dann tatsächlich kurz zusammen. Das Pferd, das da stand, sah ihrem geliebten Reittier zum Verwechseln ähnlich! Genau dasselbe strahlendweisse Fell, dasselbe sternenförmige Mahl auf der Stirn.
„Silberstern!“ flüsterte sie. „Bist du das?“ Sie hob ihre Kerze und als deren Licht auf den Schimmel im Stall fiel, hob dieser sogleich den Kopf. Es wirkte jedoch nicht, als würde er Sara erkennen. Er verhielt sich wie jedes andere Pferd, das sich in den Stallungen befand.
Sara schnalzte leicht mit der Zunge und der Schimmel trottete näher. Sanft streichelte sie über seine Nase und seine Stirn und verharrte bei dem sternenförmigen Mahl. „Nein…“ flüsterte sie etwas traurig. „Du bist nicht Silberstern. Aber ich muss sagen, du siehst wirklich genauso aus wie er.“ Sie tätschelte nun auch noch den Hals des Pferdes und dieses schien ziemlich schnell Vertrauen zu ihr zu fassen. Es stupste sie leicht mit seinen weichen Nüstern an und Sara gab ihm einen Apfel zu fressen, den sie vorsorglich mitgebracht hatte. Das Pferd verschlang ihn genüsslich. Sein ganzes Gebaren jedoch, hatte nichts mit ihrem geliebten Silberstern gemein. Bekümmert wandte sie sich ab und ging mit hängendem Kopf wieder davon.
Auf einer Bank im Schlosspark, liess sie sich nieder und blickte eine Weile hinauf in den sternenübersäten Himmel. Tiefe Trauer und Resignation ergriff sie. Wie nur sollte sie all das ertragen? Silberstern hatte sie zwar ermahnt, dass sie die Kraft in sich selbst finden musste. Doch gerade kam das dem Mädchen so unendlich schwer vor. Sie wusste, das Benjamin auch schon bald wieder aufbrechen würde und dann…
„Ach Gott!“ seufzte sie leise. „Wie nur, kann ich lernen, damit besser klarzukommen? Wie nur, kann ich meine innere Kraft endlich mehr zur Entfaltung bringen?
Ein kühler Wind kam plötzlich auf und Sara zog den Mantel fröstelnd enger um sich. Es wurde wohl Zeit wieder ins Schloss zurückzukehren.
Als sie sich jedoch erheben wollte, stutzte sie auf einmal und blickte nochmals erstaunt in den Himmel.
Hatten sich da nicht gerade einige der Sterne bewegt? Und tatsächlich! Mehrere der leuchtenden Sterne, hatten auf einmal begonnen einen wilden Reigen zu tanzen.
„Werde ich jetzt womöglich auch noch verrückt?“ dachte die Frau bei sich und schaute dem seltsamen Schauspiel mit grossen Augen zu. Die Sterne ballten sich nun immer mehr zusammen und formierten sich schliesslich zu drei zarten, weiss-silbern schimmernden Wesen, mit schleierartigen Gewändern und leuchtenden Strahlenkränzen um ihre Häupter. Ihr Anblick war so voller Schönheit und Anmut, dass Sara ihren Blick kaum mehr von ihnen wenden konnte.
Sei gegrüsst Sarachan,“ sprachen sie mit zarten Stimmen. „Es freut uns, dich kennenzulernen.“
Sara blieb der Mund offen stehen, vor Erstaunen. „Sarachan?“ fragte sie. „Warum nennt ihr mich so?“
„Nun, weil du Sara sowie Tri- Chan gleichermassen bist. Darum gaben wir dir diesen Namen.“
„Aber… wer… seid ihr?“
„Wir sind die Sternenfeen. Haben dir Benjamin und Pia noch nie von uns erzählt?“ Sara dachte angestrengt nach und eine vage Erinnerung stieg in ihrem Inneren auf. „Ja, jetzt erinnere ich mich. Seid ihr ihnen nicht ganz am Anfang im Kristallreich erschienen und habt ihnen… ein Geschenk überbracht?“
„Ja, das haben wir. Wir schenkten ihnen damals den Sternenstab. Dieser sollte sie vor gefährlichen Angriffen beschützen.“
„Ja genau. Ich glaube sie konnten ihn sogar schon mehrmals gut gebrauchen.“ „Das freut uns. Doch deswegen sind wir nicht gekommen. Wir wurden von einem guten Freund darum gebeten, auch dir ein Geschenk zu überbringen, Sarachan.“
„Ihr… habt ein Geschenk für mich?!“ Saras Augen wurden immer grösser und das Funkeln der Sternenfeen spiegelte sich hundertfach darin.
„So ist es. Aber eigentlich kommt es, wie gesagt, von einem guten Freund.“ „Wer ist dieser Freund?“
„Es handelt sich dabei um ein Einhorn. Ein Einhorn, dass du gut kennst.“
„Ihr meint… Silberstern?!“
„Ja, du hast ihn so genannt. Natürlich ist das nicht wirklich sein Einhornname. Aber das tut gerade nichts zur Sache. Er bat uns, dir diesen Talisman zu bringen.“ Die Sternenfeen zogen nun ein sternenförmiges Medaillon hervor, das wunderbar in allen Farben glitzerte. Es sah aus, als wäre Feen- oder Sternenstaub darin eingeschlossen. Sara nahm das Schmuckstück ehrfürchtig entgegen und sogleich wurde sie von einer wunderbaren Liebe und grossem Frieden durchdrungen.
„Der Talisman lässt sich in zwei Teile teilen,“ erklärten die Feen. „Ein Teil ist für dich, der andere für deinen Liebsten Benjamin. Solange ihr es bei euch tragt, seid ihr durch eine unsichtbare Sternenbrücke verbunden, die ihr des Nachts, wenn ihr schlaft, betreten könnt. So seid ihr in euren Träumen stets verbunden und die Trennung fällt euch nicht gar so schwer.“
Sara starrte auf das wundersame Geschenk und dann wieder auf die Feen. „Aber…, wie ist so etwas überhaupt möglich?“
„Durch die Zusammenarbeit von uns und deinem guten Freund Silberstern. Der Talisman beinhaltet Sternenstaub aus unserem Reich und Regenbogenstaub aus dem Reich der Einhörner. Diese beiden Welten sind eng miteinander verbunden.“
„Vielen herzlichen Dank!“ sprach Sara von Freude erfüllt. „Ich kann gar nicht glauben, dass ihr mir und Benjamin so etwas Kostbares schenkt. Ich bin tief bewegt.“
„Das haben wir gerne getan, denn du und Ben ihr seid etwas ganz Besonderes und Silberstern dachte, er wolle euch etwas schenkten, dass euch Trost zu spenden vermag, wenn ihr voneinander getrennt seid.“
„Kann ich über die Sternenbrücke denn auch Silberstern besuchen?“
„Nein. Du kannst nur jenen besuchen, der die andere Hälfte des Sternentalismans bei sich trägt.“
„Nun, damit bin ich auch schon mehr als zufrieden. Nochmals tausend Dank, auch an Silberstern.“
„Wir werden es ihm ausrichten,“ sprachen die Feen und lächelten liebevoll. Dann drehten sie sich wieder um und flogen davon. Bald waren sie nur noch kleine Funken und schliesslich verschmolzen sie wieder mit dem Sternenhimmel.
Sara aber, blieb noch eine Weile ungläubig stehen und starrte voller Ehrfurcht und Freude auf den glitzernden Sternen-Talisman in ihrer Hand, der wundervoll funkelte und glitzerte. Dann drehte sie sich um und lief zurück zu Benjamin, um ihm die wunderbare Neuigkeit zu erzählen.