Doch es kam anders als wir dachten. Nachdem wir einige, endlos scheinende Tage, auf dem Meer dahingedriftet waren, zog auf einmal ein schrecklicher Sturm auf. Die Wellen waren riesig und unser Schiff wurden von ihnen wie eine Nussschale hin und her geworfen. Irgendwann wurden meine Frau und ich dann über Bord geschleudert.
Als wir nach langer Zeit der Bewusstlosigkeit wieder erwachten, fanden wir uns an einem Strand wieder. Die Umgebung sah jener unserer alten Riesen- Heimat sehr ähnlich und wir hofften, wieder zurück auf vertrautem Terrain zu sein. Doch bald merkten wir, dass wir uns da gewaltig irrten! Wir waren nämlich auf einer unbekannten Insel gestrandet. Anfangs glaubten wir, dass wir uns auf ihr ansiedeln könnten, denn es gab Süsswasser und auch Nahrung in Hülle und Fülle. Doch mit etwas rechneten wir nicht: Die Insel war bereits bewohnt, und zwar von riesigen, mächtigen Kreaturen: Den Titanen! Uralten Wesen, von denen wir bisher nur aus Geschichten und Mythen gehört hatten. Die Titanen waren etwas doppelt so gross, wie ich. Sie besassen nur ein einziges Auge waren und von ungezähmter Wildheit und Gefährlichkeit. Bisher hatten wir immer geglaubt, dass unser Volk das grösste in der, uns bekannten Welt, sei. Doch der Anblick dieser gewaltigen Wesen…,“ Zyklopus erschauderte merklich, „belehrte uns bald eines Besseren. Blankes Entsetzen ergriff uns bei ihrem Anblick und als sie uns entdeckten, begannen sie uns sogleich auf grausame Weise zu jagen. Man konnte nicht mit ihnen sprechen. Sie waren zu wild. Einige Male verloren wir beinahe unser Leben und mussten uns immer irgendwo verstecken. Wohin wir auch immer gingen, die Titanen waren bereits da und sie kannten keine Gnade. Es war eine sehr schlimme Zeit, dort auf der Insel. An manchen Tagen, hatten wir kaum etwas zu essen und dann auf einmal purzelten unsere Pfunde schneller als uns lieb war. Wir magerten in jener Zeit stark ab und erkannten auf einmal, dass wir uns nun in derselben Lage befanden, wie damals das Zwergen- Volk, als wir uns so rücksichtlos und gewalttätig in ihrer Welt bewegt haben. Das tut uns mittlerweile sehr leid.“
Die beiden Zwerge, blickten den Riesen erstaunt und noch immer etwas misstrauisch an.
„Meinst du das auch wirklich ernst?“ fragte Sturmius. „Ja, voll und ganz! Damals als es uns auf jener Titanen- Insel so übel erging, betete ich das erste Mal wahrhaftig zum Göttlichen, dem Grossen Geist oder wie immer man diese Macht auch nennen mag, die über uns alle wacht.
Als wir beinahe am Ende waren, geschah etwas Unglaubliches! Als ich an einem kristallklaren Morgen erwachte und von unserem, erhöht liegenden Höhlenversteck, hinunter aufs Meer sah, erblickte ich unser, im Sturm verloren geglaubtes Schiff. Es war tatsächlich ebenfalls auf der Insel angeschwemmt worden und es hatte nur einige geringfügige Schäden, die ich selbst gut reparieren konnte.
Innert kürzester Zeit war es wieder sehtüchtig und dann konnten wir der schrecklichen Titanen- Insel endlich entfliehen! Es war der glücklichste Moment meines Lebens und wir versprachen dem Grossen Geist, dass wir unsere Vergehen am Zwergen- Volk, wieder gutmachen würden.
Einige Tage später, erreichten wir wieder die heilsbringenden Ufer dieses Reiches hier.
In der ersten Nacht nach unserer Ankunft, hatte ich dann einen einschneidenden Traum, in dem eine Stimme zu mir sprach: „Du und Amelie sind nun um einige Erfahrungen reicher. Für eine kurze Zeit habt ihr erfahren, wie es ist ein Zwerg zu sein. Auch ihr habt dem kleinen Volk sehr viel angetan, obwohl dies hier eigentlich seine Heimat wäre. Ihr seid Gäste Im Zwergen- Reich und darum solltet ihr euch mit Respekt an diesem Ort bewegen. Deine und Amelies Aufgabe wird es ab heute sein, das was ihr alles erlebt habt, auch den anderen Riesen, die hier noch landen werden, mitzuteilen und sie zu einem respektvollen Verhalten, den Ureinwohnern gegenüber, anzuhalten. Ihr sollt Boten des Friedens werden! Das Omniversum steht vor grossen Umwälzungen. Eines Tages werden zwei Menschenkinder, mit Haaren wie glänzendes Gold hierherkommen. Ein grosser Magier wird sie begleiten. Sie spielen eine sehr wichtige Rolle im neu anbrechenden Zeitalter. Wenn du sie triffst, sollst du sie so gut als möglich unterstützen!“
Zyklopus schwieg nun einen Moment und starrte nachdenklich vor sich hin. Die Geschwister und ihre Begleiter, waren sehr ergriffen, von dem was sie da gehört hatten. Der Riese schien sich wirklich sehr verändert zu haben.
Zyklopus fuhr nun weiter: „Ich glaube, dass ihr die drei seid, von denen diese Stimme gesprochen hat. Es ist ein Zeichen dafür, dass sie die Wahrheit gesagt hat. Natürlich taten Amelie und ich das, was uns aufgetragen wurde. Als immer mehr Riesen an den Ufern dieses Reiches landeten, sprachen wir mit ihnen und setzten uns von Anbeginn für das Zwergen- Volk ein. Nicht alle wollten auf uns hören, aber die meisten taten es, als wir ihnen unsere Geschichte erzählten. So kam es zu den ersten Verhandlungen zwischen Zwergen und Riesen, die sich teilweise als sehr fruchtbringend erwiesen. Lange hat das Zusammenleben der beiden Völker dann gut funktioniert bis…“ Zyklopus‘ Blick wurde bekümmert. „Bis dieser seltsame Kult, den die Riesen seit einiger Zeit praktizieren, hier Einzug gehalten hat. Seither hat sich mein Volk, einmal mehr, sehr zum Negativen verändert. Es ist irgendwie wieder wilder, rücksichtloser und grausamer geworden. Amelie und ich lebten bisher zurückgezogen hier in den Bergen, doch nun halte ich es für meine Pflicht, dieser ganzen Sache auf den Grund zu gehen und meine Brüder und Schwestern wieder zur Vernunft zu bringen.“
„Wir haben genau das Gleiche vor,“ meinte Benjamin.
„Wir könnten ja gemeinsam gehen!“ anerbot sich der Riese spontan.
„Das wäre vielleicht nicht mal so eine schlechte Idee,“ erwiderte Pia.
Die anderen nickten, nur Sturmius schien noch nicht so ganz überzeugt.
„Ich kann gut verstehen, wenn du mir und meiner Frau nicht mehr traust,“ sprach Zyklopus „aber glaub mir, wir haben uns wirklich verändert. Und wir verstehen nun, dass keiner das Recht hat seine Mitgeschöpfe zu unterdrücken und zu berauben. Denn wir sind alle Eins, trotz unserer Verschiedenheit. Wir sollten uns zusammentun, um diese Einheit anzustreben.“
Sturmius dachte angestrengt nach. Sein Blick wanderte zu Sebius, dann zu den Geschwistern und Malek herüber. Diese lächelten im aufmunternd zu. Sturmius wandte sich wieder an den Riesen und sprach: „Also gut, wenn die anderen dir vertrauen, werde ich es auch tun.“
Zyklopus‘ bärtiges Gesicht, verzog sich nun zu einem breiten Lächeln. „Dann brechen wir also auf! Ich war gerade auf dem Weg zum Krater, wo meine Brüder diesen Tempel errichtet haben. Es sollte nicht mehr sehr weit sein.“
Mit schweren Schritten setzte sich der Riese in Bewegung und die anderen folgten ihm dicht auf dem Fuss.