Die Baikalrobbe (Pusa sibirica, Syn.: Phoca sibirica, russisch Байка́льская не́рпа, Baikalskaja Nerpa) ist eine endemische Robbe des Baikalsees in Sibirien. Als einzige Robbenart lebt sie ausschließlich im Süßwasser. Seit der Entdeckung der Baikalrobbe ist es rätselhaft, wie diese Art den Baikalsee kolonisiert haben kann. Denn dieser ist ein Binnensee und ist von den Weltmeeren (Laptewsee) Luftlinie etwa 2.000 Kilometer und über Flussanbindung sogar 3.800 Kilometer entfernt. Zudem ist der Baikalsee der älteste See der Erde und hatte die letzte Meeresanbindung im Jura, also lange vor der Entstehung von Robben.
Der Schädelbau der Baikalrobbe lässt darauf schließen, dass sie eng mit der Kaspischen Robbe (Pusa caspica, Syn.: Phoca caspica) verwandt ist. Außerdem lässt der morphologische Aufbau beider Arten darauf schließen, dass sie von arktischen Ringelrobben (Pusa hispida, Syn.: Phoca hispida) abstammen.
Eine Hypothese besagt, dass beide Robbenarten Relikte eines heute verschwundenen früheren Randmeeres, der Paratethys sind. Hier hätten diese Robbenarten ein miozänes Alter (23,03 Millionen Jahren bis etwa 5,333 Millionen Jahre alt). Es ist nicht gesagt, wie alt die Baikalrobbe als Spezies ist, aber selbst groß gewählte Schätzungen gehen von einem Alter von 2 Millionen Jahren aus, was diese These in ihrer Wahrscheinlichkeit schmälert. Zumal mit dieser These nur die Kaspischen Robben zweifelsfreier erklärt werden können, nicht aber die Existenz der Baikalrobben.
Eine andere Hypothese nimmt an, dass die Vorfahren dieser Robben die Flüsse hinauf gewandert sind, doch dafür gibt es keine Belege oder hinreichende Erklärungen, warum sich nur die Bestände am Baikalsee und Kaspischen Meer halten konnten und dort zu neuen Artbildungen führten.
Eine dritte Hypothese nimmt eine wesentlich spätere Neukolonisierung von Norden her während des mittleren Pleistozän (2,588 Millionen Jahren bis vor 11.650 Jahren) an, als im Eiszeitalter in Sibirien riesige flache Seenplatten existierten, die durch Eisdämme gestaut waren. Die Robben hätten hier praktisch sich von einem See zum nächsten verbreitet, welche dann mit der nächsten Warmzeit verschwanden und die Robben vom Rest der Welt trennten. Gerade in neuerer Zeit finden sich hierfür vermehrt Belege, denn die Gattung Pusa ist genetisch betrachtet noch eine sehr junge Gattung, welche sich noch nicht vollkommen genetisch aufgespalten hat. Demnach sind die Ereignisse, welche zur Artbildung geführt haben, vergleichsweise jung. Das Alter der Baikalrobben als eigenständige Art wäre demnach nur etwa 400.000 Jahre.
Nach aktuellem Kenntnisstand scheint die dritte Hypothese die wahrscheinlichste zu sein.
Quellen
- Ronald M. Nowak: Walker's Mammals of the World. 6th Edition. Johns Hopkins University Press, Baltimore 1999, ISBN 0-8018-5789-9
- Jukka U. Palo & Risto Väinölä (2006): The enigma of the landlocked Baikal and Caspian seals addressed through phylogeny of phocine mitochondrial sequences. Biological Journal of the Linnean Society 88: 61–72.
- Ulfur Arnason, Anette Gullberg, Axel Janke, Morgan Kullberg, Niles Lehman, Evgeny A. Petrov, Risto Väinölä (2006): Pinniped phylogeny and a new hypothesis for their origin and dispersal. Molecular Phylogenetics and Evolution 41: 345–354. https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S1055790306001977 Abgerufen am 8.12.2024
- Tara Lynn Fulton & Curtis Strobeck (2010): Multiple markers and multiple individuals refine true seal phylogeny and bring molecules and morphology back in line. Proceedings of the Royal Society B 277: 1065-1070. https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2009.1783 Abgerufen am 8.12.2024
- Tara L. Fulton & Curtis Strobeck (2010): Multiple fossil calibrations, nuclear loci and mitochondrial genomes provide new insight into biogeography and divergence timing for true seals (Phocidae, Pinnipedia). Journal of Biogeography 37: 814–829. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2699.2010.02271.x Abgerufen am 8.12.2024
- Endo, H.; Sakata, S.; Arai, T.; Miyazaki, N. (April 2001). "The Muscles of Mastication in the Caspian Seal (Phoca caspica)". Anatomia, Histologia, Embryologia. 31 (5): 262–265. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1046/j.1439-0264.2002.00372.x Abgerufen am 8.12.2024
- Palo, Jukka U.; Väinölä, Risto (2006). "The enigma of the landlocked Baikal and Caspian seals addressed through phylogeny of phocine mitochondrial sequences". Biological Journal of the Linnean Society. 88 (1): 61–72. https://academic.oup.com/biolinnean/article-abstract/88/1/61/2691557?redirectedFrom=fulltext&login=false Abgerufen am 8.12.2024